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BARBAREN


AUSSTELLUNGSDAUER: 8.11.2012–18.1.2013

 * Ausstellung
 * Ausstellungskonzept
 * KünstlerInnen
 * Veranstaltung
 * Impressum


BARBAREN DER OBERSCHICHT – MASKERADEN SYSTEMISCHER GEWALT


KURATIERT VON SABINE WINKLER

Beteiligte KünstlerInnen:

 * Meriç Algün Ringborg 
 * Marianne Flotron 
 * Søren Thilo Funder 
 * Florian Göttke
 * Naomi Henning 
 * Migrafona
 * Olivia Plender 
 * Pilvi Takala
 * Florin Tudor & Mona Vătămanu 
 * Katarina Zdjelar

Eröffnung: Mittwoch, 07.11.2012, 19 Uhr

Dauer: 8.11.2012–18.1.2013

Ort: ratskeller – Galerie für zeitgenössische Kunst, Berlin


 


ABSTRACT

Die Bezeichnung "Barbaren der Oberschicht" ist von einem Ausspruch des
englischen Justizministers Kenneth Clarke abgeleitet, der anlässlich der
Aufstände im Sommer 2011 in London nicht nur alle TeilnehmerInnen der Proteste
undifferenziert als kriminell bezeichnete, sondern die Demonstranten auch als
"Barbaren der Unterschicht" verunglimpfte. 


SYMBOLISCHE UND SUBJEKTIVE GEWALT 

Die Ausstellung beschäftigt sich mit unterschiedlichen Formen systemischer und
symbolischer, oft nicht sichtbarer, anonymer Gewalt, die subjektive Gewalt (oft
sichtbar, an Personen gebunden) als Reaktion hervorruft und auslöst. Wieso
richtet sich subjektive, emotionale Gewalt oftmals nicht direkt gegen die
Verursacher und Repräsentanten systemischer Gewalt, sondern gegen jene, die
gerade noch etwas zu verlieren haben? Weil diese im gleichen Viertel oder gleich
nebenan leben, weil es keine Rolle spielt, weil es generell um eine emotionale
Entladung geht oder weil man nicht genau weiß, gegen wen der Protest sich
richten soll, oder wo der richtige Ansatzpunkt ist. Slavoj Žižek schreibt in
Violence. Six Sideways Reflections: "It is the self-propelling metaphysical
dance of capital that runs the show, that provides the key to real-life
development and catastrophes. Therein resides the fundamental systemic violence
of capitalism, much more uncanny than direct pre-capitalist socio-ideological
violence: this violence is no longer attributable to concrete individuals and
their 'evil' intentions, but is purely 'objective', systemic, anonymous."*

Die gezeigten Arbeiten erforschen unterschiedliche Bereiche systemischer Gewalt
des Kapitalismus und analysieren unterschiedliche Formen der Maskerade, die
dieses Gewaltpotenzial versteckt. Nicht die Akteure stehen im Vordergrund,
sondern die den sozialen Bedingungen des globalen Kapitalismus innewohnenden,
systemischen Gewaltmechanismen. Etienne Balibar spricht von zwei
entgegengesetzten, aber komplementären Arten von exzessiver Gewalt: "Die
'ultra-objektive' systemische Gewalt, die Bestandteil der sozialen Bedingungen
des globalen Kapitalismus ist, und 'automatisch' ausgeschlossene und
überflüssige Individuen von den Obdachlosen bis zu den Arbeitslosen produziert,
und von der 'ultra-subjektiven' Gewalt neuer ethnischer und/oder religiöser,
kurz rassistischer 'Fundamentalismen'"**


MASKERADEN DER GEWALT UND IHRE FOLGEWIRKUNGEN 

Wie gelingt es systemischer Gewalt so erfolgreich, unsichtbar zu agieren, ohne
entdeckt zu werden? Welcher Maskeraden bedient sie sich? Einer ideologischen
Maskerade, die das gesellschaftliche Wohl aller proklamiert und Profit und
Reichtum für einige wenige meint? Die Maske und die Inszenierung funktionieren
perfekt, um zu verhüllen, dass hinter dem Kapitalismus kein moralischer Kern,
sondern Gewalt steht. Wirtschaftsorientierte Wertesysteme werden als
institutionalisierter Wertekanon und Way of Life proklamiert. Private und
soziale Bereiche, Bildungssysteme, Gesundheitsversorgung und Rentensysteme,
zunehmend alle Bereiche werden ökonomisiert, wirtschaftlichen Bedürfnissen
unterstellt. Effizienz, Selbstoptimierung, Leistung alles, was der
Kapitalakkumulation dienlich ist, wird als notwendiges Mittel zum persönlichen
Erfolg verkauft. Sozialsysteme werden diffamiert, Sozialkürzungen als notwendige
Eingriffe gerechtfertigt, um "soziale" Strukturen aufrechterhalten zu können,
Ausschlussmechanismen werden als Sicherheitsmaßnahmen verkauft, Korruption wird
legalisiert.

Maskeraden systemischer Gewalt, ihre unterschiedlichen Formen, Folgewirkungen
und die daraus resultierenden Reaktionen stehen im Zentrum der Betrachtung. Wie
werden Maskeraden medial inszeniert, wer sind die Regisseure, von welchen
Problemen soll hier abgelenkt werden? Und steht die Maskierung nicht immer im
Zeichen des Euphemismus, um den BürgerInnen negative Maßnahmen und
bürgerfeindliche Politik als positive Entwicklung oder notwendigen Eingriff zu
verkaufen? Was wird hier vertuscht? Dass es sich bei Charityveranstaltungen um
eine Art Almosenverteilung handelt, bei der die Empfänger keinerlei Recht auf
Unterstützung haben, sondern auf die Gnade der Spender angewiesen sind? Dass es
sich um Politik im Sinne einer Interessenvertretung von Konzernen und Reichen
handelt, nicht nur im finanziellen Sinn, sondern auch in einem
gesellschaftspolitischen Kontext? Kapitalismus passt sich an und bedient sich
unterschiedlicher Maskeradenschlagwörter: Steigerung des Wirtschaftswachstums,
freier Markt, Freiheit, Selbstoptimierung, Privatisierung etc. sind nur einige
Leitlinien, die von den Maskeradenvertretern, von Finanz- und
Wirtschaftsexperten seit Jahrzehnten schöngeredet und von der Politik umgesetzt
werden. Maskeradenkonforme Verhaltensweisen werden global inszeniert und
gefordert: Presentation Skills und glatte Oberflächen, Forderungen nach
Flexibilität, Leistungs- und Zielorientiertheit werden als Mittel zum Erfolg
verkauft, um Selbstdisziplinierungs­maßnahmen und Askese als positive Werte zu
etablieren, um für ArbeitgeberInnen noch besser verwertbar zu sein. Was sind die
Techniken des sich immer wieder neu generierenden und anpassungsfähigen
Kapitalismus? Was hat es mit diesen unterschiedlichen Maskeraden systemischer
Gewalt auf sich, was verbergen sie und welche Rolle spielen sie im
gesellschaftlichen Kontext?

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Slavoj Žižek, Violence. Six Sideways Reflections, S. 11, London, 2009

ebda:, S. 12: Slavoj Žižek zitiert Etienne Balibar, La violence: idéalité et
cruauté, in La crainte des masses: politque et philosophie avant et après Marx,
Paris: Editions Galilée, 1997