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Getty Images/Gal Productions
Justizumbau


ISRAELS HÖCHSTGERICHT SOLL ENTSCHEIDEN

Nach dem Beschluss eines zentralen Teils des Umbaus der israelischen Justiz, der
das Land seit Monaten tief spaltet, will die Opposition das Höchstgericht
anrufen. Ausgerechnet das Höchstgericht, dessen Handlungsfähigkeit durch das
beschlossene Gesetz stark eingeschränkt wird, soll entscheiden, ob dieses Gesetz
einseitig den „demokratischen Charakter Israels“ aufhebt.

24.07.2023 22.18
24. Juli 2023, 22.18 Uhr (Update: 24. Juli 2023, 22.56 Uhr)
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Oppositionsführer Jair Lapid kündigte unmittelbar nach dem Beschluss
Montagnachmittag nächste Schritte an. Die Opposition brachte am Dienstag beim
Höchstgericht mehrere Petitionen gegen die „einseitige Aufhebung des
demokratischen Charakters des Staates Israel“ ein.



Eine Aufhebung gilt allerdings als unwahrscheinlich. Das Höchstgericht in
Israel, das keine Verfassung, aber einzelne Grundgesetze kennt, hat bisher nie
ein solches Grundgesetz als rechtswidrig aufgehoben. Formal war der nunmehrige
Beschluss eine Novelle des bestehenden „Grundgesetzes Justiz“. Die Novelle
schränkt die höchstgerichtliche Kontrolle von Entscheidungen der Regierung stark
ein. Ebenfalls in einem solchen Grundgesetz wird allerdings Israel als jüdischer
und demokratischer Staat definiert.

ZIB 2, 24.7.2023

Israels Parlament beschließt Justizumbau


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ISRAELS PARLAMENT BESCHLIESST JUSTIZUMBAU

Das Parlament in Israel hat sich von den monatelangen Massenprotesten nicht
beeindrucken lassen und hat am Montag für den Umbau der Justiz gestimmt. Israels
neue Regierung spricht von einer notwendigen Entscheidung, um den politischen
Einfluss der Gerichte zurückzudrängen.

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BESCHRÄNKUNG DES HÖCHSTGERICHTS

Tritt das Gesetz – Teil einer ganzen Reihe an bereits geplanten Justizgesetzen –
in dieser Form in Kraft, kann das Parlament dem Obersten Gerichtshof damit die
Möglichkeit entziehen, Regierungsentscheidungen als „unangemessen“ einzustufen
und so außer Kraft zu setzen. Die Klausel ist daher einer der umstrittensten
Bestandteile des Gesetzespakets. Zugleich bringt es das Höchstgericht in die
schwierige Situation, über ein Gesetz zu befinden, das es selbst unmittelbar
betrifft.

Kritiker fürchten eine willkürliche Besetzung hochrangiger Regierungsposten
sowie eine Begünstigung von Korruption. Konkret verdächtigen sie Regierungschef
Benjamin Netanjahu, gegen den ein Korruptionsverfahren läuft, seine Verurteilung
abwenden zu wollen.

Mit dem Gesetz wird jedenfalls das Kräfteverhältnis stark in Richtung Exekutive,
also Regierung, verschoben und die kontrollierende Judikative geschwächt. Dabei
ist die israelische Regierung ohnehin mächtiger als in vielen anderen
demokratischen Staaten. Denn die Exekutivgewalt ist stark zentralisiert,
Kommunen haben grundsätzlich weniger Eigenständigkeit als in anderen Ländern,
eine mittlere Verwaltungsebene wie Bundesländer gibt es in Israel gar nicht.

Reuters/Ronen Zvulun
Das Höchstgericht gilt vielen als letzte Hüterin der Demokratie, für die Rechte
ist es seit Jahren ein „rotes Tuch“


REGIERUNGSFRAKTIONEN ALLEIN BEI VOTUM

Bis zur letzten Minute hatte es hektische Versuche gegeben, doch noch einen
Kompromiss zu finden, angeführt von Staatspräsident Jizchak Herzog. Doch
letztlich wurde das Gesetz mit 64 Stimmen der Koalition in zweiter und dritter
Lesung endgültig beschlossen. Die Opposition boykottierte geschlossen die
Abstimmung und verließ den Saal.

Justizminister Jariv Levin, der den Justizumbau federführend betreibt, meinte
unmittelbar nach der Entscheidung, man habe „einen ersten Schritt in einem
historischen Prozess, der das Justizsystem des Landes repariert“, gemacht. Auch
Verteidigungsminister Joav Galant, auf den bis zuletzt Hoffnungen der Opposition
ruhten, er könnte sich in der Koalition für einen Kompromiss starkmachen,
stimmte für das Gesetz.


„KAMPF VERLOREN, ABER NICHT DIE GANZE KAMPAGNE“

Lapid appellierte außerdem an Reservisten der Armee, eine Entscheidung des
Höchstgerichts über das Gesetz abzuwarten, ehe sie ihren Dienst verweigern.
Einer der Reservisten, die derzeit nicht zu den teils wöchentlichen Übungen
einrücken und teils auch im Ernstfall laut eigenen Angaben nicht einrücken
würden, betonte, man habe „einen Kampf verloren, aber nicht die gesamte
Kampagne“. Laut der Tageszeitung „Haaretz“ informierten nach dem
Gesetzesbeschluss bereits Hunderte Reservisten ihre Vorgesetzten, dass sie nicht
mehr einrücken werden.

Armeechef Herzi Halevi, den Netanjahu entgegen Halevis Wunsch erst nach dem
Gesetzesbeschluss empfing, warnte laut „Haaretz“ den Premier vor öffentlicher
Kritik an den dienstverweigernden Reservisten. Die Armee befürchte einen Schaden
für die Einsatzbereitschaft. Bei Kritik der Regierung, den Dienst für das Land
zu verweigern, verweisen diese darauf, dass sie teils seit Jahrzehnten
freiwillig einrücken und im Gegensatz dazu die Regierung die religiös-orthodoxen
Männer per Gesetz vom Wehrdienst befreit.


NETANJAHU: „NOTWENDIGER DEMOKRATISCHER SCHRITT“

Netanjahu sprach am Abend indes von einem „notwendigen demokratischen Schritt“.
Dieser ermögliche der gewählten Führung das Regieren im Sinne der Mehrheit der
Bürger. Die Erfüllung des Wählerwillens sei „das Wesen der Demokratie“ – und
nicht ihr Ende, so Netanjahu.

Der Dachverband der Gewerkschaften will über die Ausrufung eines Generalstreiks
beraten.

Reuters/Ronen Zvulun
Die Polizei ging unter anderem mit stinkendem Wasser gegen Demonstrierende vor


PROTESTLAGER WILL MIT VOLLER KRAFT WEITERMACHEN

Unklar ist, wie es mit den Protesten auf der Straße längerfristig weitergeht,
nach der Entscheidung reagierten die Protestierenden wütend. Die Polizei ging
mit Wasserwerfern, gefüllt mit „stinkender Flüssigkeit“, vor, so der
öffentlich-rechtliche Rundfunk Kan, vor. Einer der Hauptorganisatoren betonte,
die Proteste würden unvermindert weitergehen.

Medienberichten zufolge wurden Montagabend landesweit mindestens 34
Protestierende festgenommen und mehrere Menschen unter anderem durch den Einsatz
von Wasserwerfern verletzt. In mehreren Orten kam es demnach zu Zusammenstößen
zwischen der Polizei und Demonstranten. Gegner des Justizumbaus blockierten den
Berichten nach mehrere Straßen im Land. In Tel Aviv marschierten Tausende am
Abend stundenlang auf einer zentralen Autobahn.

ZIB 2, 24.7.2023

ORF-Korrespondent Cupal zu Israels Justizumbau


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ORF-KORRESPONDENT CUPAL ZU ISRAELS JUSTIZUMBAU

ORF-Israel-Korrespondent Tim Cupal kommentiert die Kritik an Israels
Justizumbau, in der Demonstrierende und Opposition wegen der Einschränkung der
Höchstgerichtsbefugnisse einen Staatsstreich sehen.

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Bei einer Kundgebung in einem Ort nördlich von Tel Aviv raste ein Auto in die
Menge. Drei Demonstranten wurden dabei laut Polizei verletzt. Die
Sicherheitskräfte nahmen den Fahrer, dessen Motiv am Abend noch unklar war, nach
einer Fahndung fest.

Auch unklar ist, wie die Wirtschaft, die weitgehend geschlossen gegen den
Justizumbau ist, reagiert. Dem Land droht zudem eine Herabsetzung des
Kreditratings durch internationale Agenturen. Das hatten diese vor Monaten bei
der letzten regulären Bewertung in ihren Ausblicken in Aussicht gestellt.


USA: BESCHLUSS „UNGLÜCKLICH“

Unklar ist auch, ob der Beschluss konkrete Auswirkungen auf die internationalen
Beziehungen, insbesondere zu den USA, haben wird. Jedenfalls belasten die
Umbaupläne der Regierung die Beziehungen Israels mit dem Verbündeten USA.

Ein Sprecher des Weißen Hauses nannte den Gesetzesbeschluss „unglücklich“ und
forderte erneut die Regierung auf, „durch politischen Dialog auf einen
Kompromiss hinzuarbeiten“. US-Präsident Joe Biden habe immer wieder deutlich zum
Ausdruck gebracht, dass große Veränderungen in einer Demokratie einen möglichst
breiten Konsens erforderten, um dauerhaft zu sein, teilte seine Sprecherin in
Washington mit.

Biden hatte Netanjahu bis zuletzt direkt und via Interviews gedrängt, bei einer
Justizreform einen breiten Konsens anzustreben. Einer vom Fernsehsender Kan
veröffentlichten Umfrage zufolge sind 46 Prozent der Israelis gegen die Reform,
35 Prozent befürworten sie, und 19 Prozent sind unentschlossen.

Auch die deutsche Bundesregierung brachte ihre Besorgnis zum Ausdruck: „Wir
bedauern sehr, dass die Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition unter
Vermittlung von Staatspräsident Isaac Herzog vorerst gescheitert sind“, hieß es
aus dem Auswärtigen Amt.

IMAGO/Debbie Hill
Das Plenum der Knesset am Tag der entscheidenden Abstimmung


POLITISCHES ÜBERLEBEN UND GRUNDSATZFRAGEN

Netanjahu hat wegen mehrerer Anklagen – unter anderem wegen Korruption – ein
starkes Eigeninteresse, die Justiz zu schwächen. Dazu kommen seine rechten bis
rechtsradikalen Koalitionspartner, die sich seit Jahren die Schwächung der
Justiz auf die Fahne geheftet haben und ohne die sich Netanjahu nicht an der
Macht halten kann. Die Basis zu allen gemäßigten und Mitte-links-Parteien hat
Netanjahu in früheren Koalitionen zerstört. Keine von ihnen ist bereit, mit
Netanjahu nochmals eine Koalition zu bilden.

Im Hintergrund geht es – nicht zuletzt aufgrund eines demografischen Wandels,
nämlich des steigenden Anteils von Religiösen und Palästinensern – um
grundsätzliche Fragen für das Land: Wie säkular bzw. wie religiös soll das
öffentliche Leben sein? Wie viele Rechte sollen Minderheiten, etwa die rund 20
Prozent der Gesamtbevölkerung umfassenden israelischen Palästinenserinnen und
Palästinenser, haben? Und anhand des Konflikts über jüdische Siedlungen in
besetzten Gebieten: Wie sollen das Zusammenleben mit den Palästinensern und eine
dauerhafte Lösung des Konflikts aussehen?

red, ORF.at/Agenturen


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