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Gesellschaft




NACH BUCHELI-EKLAT BEIM SRF: «WIR ÜBERLEGEN UNS PLÖTZLICH BEI HARMLOSEN
FORMULIERUNGEN, OB WIR DAS SO SAGEN KÖNNEN»

Was Angriffe von Klimaskeptikern bei TV-Meteorologen auslösen. Drei Beispiele.


Esthy Baumann-Rüdiger, Florian Schoop 25.08.2023, 05.30 Uhr




WOLKENBRUCH BEIM THEMA WETTER: WARUM AUS DEM HARMLOSEN SMALLTALK-THEMA EINE
KONTROVERSE GEWORDEN IST.

Gottfried Czepluch / Imago

Es soll Menschen geben, die sprechen durch den Bildschirm zu ihren
TV-Wettermännern und -frauen. So, als wären sie Familienmitglieder. Sie sagen:
«Hoi Sandra», wenn Moderatorin Sandra Boner auf dem Dach von «SRF Meteo»
erscheint und «Guete Obe mitenand» wünscht. Sie verabschieden sich mit «Tschau,
Thomas», wenn Meteorologe Thomas Bucheli die Sendung beendet.






Für viele haben Menschen wie Boner und Bucheli etwas Vertrautes. Für einige
sogar Kult-Charakter. Nicht zuletzt deshalb gehören sie zu den beliebtesten
Moderatoren im Fernsehen. Täglich schalten 616� 000 Personen die Abendausgabe
von «SRF Meteo» ein. Das entspricht einem Marktanteil von über 50 Prozent. In
manchen Jahren sahen sich gar mehr Menschen das Wetter an als die «Tagesschau».

Und das, obwohl heute praktisch jeder auf dem Handy einen Regenradar mit
Minutenangabe in der Hosentasche trägt. Eine Studie aus den USA kam 2017 gar zum
Schluss, dass die Loyalität gegenüber einem Fernsehsender eher von den
Wettermoderatoren abhängt als von den Sprechern der Nachrichten.

Doch seit einigen Jahren hat sich der Himmel über den TV-Meteorologen
eingetrübt. Für gewisse Kreise sind sie nämlich nicht die netten Moderatoren von
nebenan und schon gar keine kompetenten Wissenschafter. Sondern Zielscheiben für
Hass, Aggressionen und Verschwörungserzählungen, die in den sozialen Netzwerken
verbreitet werden. Klimaskeptiker werfen ihnen vor, die Menschheit mit falschen
Zahlen manipulieren zu wollen – weil Wettermoderatoren in ihren Prognosen den
Klimawandel erwähnen, den sie für eine Lüge halten.

Inmitten eines solchen Strudels fand sich jüngst Thomas Bucheli wieder. Der Chef
des «Meteo»-Teams von SRF musste sich vor gut zwei Wochen während einer
Live-Sendung für falsche Prognosen entschuldigen. Ein Algorithmus-Fehler hatte
die Temperaturen im Mittelmeerraum für einige Küstenorte zu hoch berechnet.



Differenzierte Kritik an der Wetterberichterstattung ist angebracht, natürlich
müssen sich auch Meteorologen erklären, auch ihnen unterlaufen Fehler.



Aber mit derart heftigen Reaktionen und persönlichen Angriffen hatte Bucheli
nicht gerechnet. Er verstand die Welt nicht mehr. Gerade noch war er das
freundliche Gesicht von SRF. Und nun soll er – so Kritiker aus den SVP-Reihen –
mit falschen Zahlen «Klimapanik» betrieben und damit Wahlkampfhilfe für die
Grünen gemacht haben?

Thomas Bucheli ist nicht allein. Dasselbe Schicksal ereilte andere
Meteorologinnen und Meteorologen vor ihm. Sie alle haben eines gemein: Sie
stehen in der ersten Reihe einer immer feindseliger geführten Debatte über die
Klimaerwärmung. TV-Meteorologen sind die Überbringer von schlechten Nachrichten,
von höheren Temperaturen, Unwettern oder Stürmen. Und sie sind vermehrt
Angriffen ausgesetzt. Im Englischen nennt man das Phänomen «Shoot the
messenger», also das Einschiessen auf den Boten von unbequemen Wahrheiten.

Drei Beispiele – und die Antwort auf die Frage, warum das Wetter kein
belangloser Smalltalk mehr ist, sondern ein ideologischer Grabenkampf.

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CHRIS GLONINGER, 38, DER DESILLUSIONIERTE




SEIN ARBEITGEBER EMPFAHL CHRIS GLONINGER, STATT «KLIMAWANDEL» LIEBER «ERWÄRMENDE
WELT» ZU SAGEN.

Zach Boyden-Holmes / Imago

Es war im August 1991, als Chris Gloningers Faszination fürs Wetter ihren Anfang
nahm – an einem Tag, als ein Hurrikan seinen Heimatort im Osten der USA traf und
grosse Verwüstungen hinterliess. Später studierte er Meteorologie und wurde
Wettermann eines regionalen TV-Senders im konservativen Bundesstaat Iowa.



Gloningers Aufgabe war es, in seinen Wetterprognosen Bezüge zum Klimawandel
herzustellen. So erinnerte er etwa während eines Hochwassers an die wärmer
werdende Atmosphäre.

Das passte einigen nicht. Der 38-Jährige wurde beschimpft, er erhielt
Todesdrohungen, in denen es hiess, er verbreite eine liberale
Verschwörungstheorie zum Wetter – den Klimawandel. Die Attacken wurden immer
extremer.

Das vergangene Jahr beschreibt der Meteorologe gegenüber der Zeitung «The
Guardian» als schmerzhaft. Seine Arbeitsfreude liess nach, er begann, an
stressbedingten Krankheiten zu leiden. Saurer Reflux. Chronischer Husten. Am
Ende musste Gloninger in Therapie gehen.

Er habe Angst gehabt, wenn nachts vor dem Haus ein Auto vorbeifuhr. Oder wenn er
lange arbeiten musste und seine Frau alleine zu Hause war. «Wir waren zu jeder
Zeit wach.»

Der Sender habe ihm gesagt, er soll doch den Begriff Klimawandel nicht mehr
verwenden, sondern lieber über «wandelndes Klima» oder eine «erwärmende Welt»
sprechen. Damit war Gloninger aber nicht einverstanden.

Der TV-Mann zog die Konsequenzen – und kündigte seinen Job als Wettermann. In
einer emotionalen Abschiedsrede sagte er während seiner letzten Sendung: «Es ist
schwierig. Meine Frau und ich kauften uns ein Haus, um für immer hier zu
bleiben.» Die Drohungen im vergangenen Jahr aber hätten sie erschüttert. Das
Paar verkaufte das Haus und zog über zweitausend Kilometer weit weg, nach
Boston.



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ISABEL MORENO, 31, DIE KÄMPFERIN




TODESDROHUNGEN WEGEN EINES HARMLOSEN TWEETS: ISABEL MORENO IST IMMER HÄUFIGER
MIT HASS AUS DEM NETZ KONFRONTIERT.

TVE

Sie spreche mit der Kamera wie mit Freunden, sagt Isabel Moreno. Sie liebe das
Wetter, sie liebe die Bühne. Somit ist es nicht erstaunlich, dass die
Meteorologin bereits seit sechs Jahren eine Wettersendung beim spanischen
Fernsehsender TVE moderiert.



In ihrem Team arbeiten nur Meteorologen. Man spricht zwangsläufig nicht nur über
das Wetter der nächsten Tage, sondern auch darüber, wie es sich in den
vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Man redet also auch übers Klima.

Eine wichtige Differenzierung, die in der hitzigen Debatte rund um den
Klimawandel nur selten gemacht wird: Das Wetter beschreibt, wie es heute oder
morgen aussieht. Klima aber bedeutet, wenn man das Wetter über einen längeren
Zeitraum betrachtet. So ist nicht jeder Sturm dem Klimawandel geschuldet.
Genauso wenig kann man sagen, dass es so hohe Temperaturen wie derzeit im Sommer
schon immer gegeben habe.

Doch solche Unterscheidungen stören all jene, die klare Schuldzuweisungen machen
wollen. Und so versuchen alle Seiten, das Wetter für ihre eigenen Überzeugungen
zu instrumentalisieren. Mittendrin befinden sich die Meteorologen. Sie können es
keiner Seite recht machen. Und so sieht sich auch Isabel Moreno immer mehr Hass
ausgesetzt.

Die Moderatorin erzählt, früher habe die Redaktion ab und an aggressive Mails
von Anhängern der Chemtrail-Szene erhalten – von Menschen also, die glauben,
dass Flugzeuge absichtlich Chemikalien in Form von Kondensstreifen freisetzen,
um das Wetter zu manipulieren, die Bevölkerung zu kontrollieren oder Krankheiten
zu verbreiten.

Heute aber seien immer mehr Verschwörungserzählungen dazugekommen. Und damit
auch viel mehr Hass-Botschaften. «Einige glauben, dass wir ‹die Wahrheit
verbergen› würden, dass es keinen Klimawandel gebe und wir mit der Regierung
unter einer Decke stecken würden, um .� .� . Ja, warum? Ich weiss es eigentlich
gar nicht.» Es seien zwar nicht viele Leute, die so aggressiv auftreten würden.
Aber sie seien ziemlich laut, gut organisiert – und es gelänge ihnen, immer
wieder Zweifel zu säen in Bezug auf den Klimawandel.



Das hat Moreno am eigenen Leib erfahren. Sie postete im April auf Twitter eine
Nachricht mit der Wettervorhersage der folgenden sechs Tage. Da es in Spanien
damals praktisch keinen Regen gab, fügte sie an: «Der Regen überspringt
Spanien.» Sie erhielt Hunderte von Antworten. «Einige behaupten, wir würden die
Wolken mit den Flugzeugen verschwinden lassen, andere haben uns einfach nur
beleidigt und mit dem Tod bedroht.»



Am gleichen Tag zögerte Moreno, ihre Moderation mit denselben Worten wie im
Tweet einzuleiten. Sie tat es trotzdem, denn: «Science-Fiction darf nicht gegen
die Wissenschaft gewinnen.»



Seit dem Vorfall spricht sie noch mehr über den Klimawandel. Sie klärt mehr auf
– auch über die wahren Gründe, warum Flugzeuge weisse Streifen am Himmel
hinterlassen (es sind Eiswolken, die entstehen, wenn die heissen Abgase der
Flugzeuge auf die kalte Luft in der Höhe treffen).

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THOMAS BUCHELI, 62, DER KONSTERNIERTE




ALS WÄREN 30 JAHRE SEINER ARBEIT VERPUFFT: SO FÜHLTE SICH THOMAS BUCHELI NACH
DEN ANGRIFFEN WEGEN FALSCHER PROGNOSEN.

Alex Spichale / AZM

Wenn der Chef von «SRF Meteo» vor die Kameras tritt, ist er in seinem Element.
Seit Jahrzehnten sendet er seine Begeisterung in die Schweizer Wohnzimmer. Doch
am 9.� August erlitt seine Euphorie einen harten Dämpfer. Bucheli – Hemd rosa,
Himmel bewölkt – stieg aufs Dach des Fernsehsenders SRF und sagte: «Sie haben es
vielleicht gehört, die ‹Weltwoche› hat uns vorgeworfen, wir würden die
Temperaturen absichtlich höher machen, als sie sind – um die Klimadiskussion
anzukurbeln.»



Bucheli wirkt konsterniert. Und weist die Vorwürfe vehement zurück. Dennoch
entschuldigt er sich für falsche Prognosen – «in aller Form».

Die letzten Tage haben bei ihm sichtlich Spuren hinterlassen. Er habe kurzzeitig
den Glauben an die Zukunft der Menschheit verloren, sagt Bucheli später im
Gespräch. «So, als wären 30 Jahre meiner Arbeit einfach verpufft.» Der erfahrene
TV-Moderator, seit 1992 auf Sendung, habe sich instrumentalisieren lassen, so
der Vorwurf. SVP-Nationalrat Thomas Matter sprach von «Klimahysterie» und von
Wahlkampfhilfe für die Linken.

Was machen diese Vorwürfe mit einem Meteorologen, dessen wichtigste Eigenschaft
die Glaubwürdigkeit ist? Bucheli sagt: «Wir überlegen uns plötzlich bei
eigentlich harmlosen Formulierungen, ob wir das so sagen können. Oder ob wir uns
damit angreifbar machen.» Auch bei der Auswahl der eingeblendeten Bilder sei man
heute kritischer. Wenn es etwa um Hitze oder Trockenheit geht, muss es dann ein
Bild eines schmelzenden Gletschers sein – oder reicht auch ein trockenes Feld?

Den Klimawandel will Bucheli aber in den «Meteo»-Sendungen nicht ganz weglassen.
«Wir werden auch künftig darüber sprechen, wenn es sich fachlich oder thematisch
anbietet.»


WIE KONNTE ES SO WEIT KOMMEN?

Jedes Wort auf die Goldschale legen, möglichst wenig Angriffsfläche bieten: Das
kennen viele Forscherinnen und Forscher, die sich mit dem Klima beschäftigen. In
einer Umfrage aus dem Jahr 2015 gab die Mehrheit der befragten Klimaforscher an,
dass die massive Kritik von Klimaskeptikern ihre Arbeit beeinflusse. Sie würden
sich vorsichtiger äussern. Und waren weniger bereit, in den Medien als Experten
aufzutreten – aus Angst vor Anfeindungen.



Das hat Folgen für die Forschung. Wie politische Kontroversen die Wissenschaft
beeinflussen, zeigte eine andere Untersuchung. Demnach befassen sich viele
Forscherinnen und Forscher nicht mit Themen, die sie am meisten interessieren.
Sondern mit solchen, die am meisten Zuspruch in der Gesellschaft erhalten.

Doch wie ist es so weit gekommen, dass aus dem Wetter ein ideologischer Kampf
geworden ist, der gleichermassen am Küchentisch, im Verein oder im Parlament mit
hitzigen Debatten ausgefochten wird?

Reto Knutti, Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich, beantwortete die Frage
in der SRF-Talkshow «Club» jüngst so:

Weil aus dem Wetter Klima gemacht wird.

Und Klima gleichgesetzt wird mit Klimaschutz.

Klimaschutz ist immer ein Kampf zwischen links und rechts, zwischen dem Staat
und der Freiheit des Individuums.

Deshalb ist das Wetter kein Thema mehr für eine nette Plauderei. Sondern ein
Schlachtfeld der Ideologien.

Und deshalb sind Fernseh-Meteorologen für gewisse Kreise auch keine kultigen
TV-Sprecher mehr. Sondern Überbringer einer Tatsache, die sie nicht hören
wollen.

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