anbruch-magazin.de Open in urlscan Pro
2001:8d8:100f:f000::2fd  Public Scan

URL: https://anbruch-magazin.de/ein-japanischer-flaneur-natsume-soseki/
Submission: On November 16 via api from US — Scanned from DE

Form analysis 2 forms found in the DOM

GET https://anbruch-magazin.de/

<form method="get" class="td-search-form" action="https://anbruch-magazin.de/">
  <!-- close button -->
  <div class="td-search-close">
    <a href="#"><i class="td-icon-close-mobile"></i></a>
  </div>
  <div role="search" class="td-search-input">
    <span>Suche</span>
    <input id="td-header-search-mob" type="text" value="" name="s" autocomplete="off">
  </div>
</form>

GET https://anbruch-magazin.de/

<form method="get" class="td-search-form" action="https://anbruch-magazin.de/">
  <div role="search" class="td-head-form-search-wrap">
    <input id="td-header-search" type="text" value="" name="s" autocomplete="off"><input class="wpb_button wpb_btn-inverse btn" type="submit" id="td-header-search-top" value="Suche">
  </div>
</form>

Text Content

 * KUNST
   * Literatur
   * Malerei
   * Musik
   * Lyrik
   * Film
 * KULTUR
   * Lebenskunst
   * Im Gespräch
   * Schriftbilder
   * Philosophie
   * Zu Besuch
 * FORUM
 * Podcast
   * Geheimnisverrat
 * SHOP
 *  


Suche

anbruch – Magazin für Kultur & Künftiges

 * KUNST
   * Literatur
   * Malerei
   * Musik
   * Lyrik
   * Film
 * KULTUR
   * Lebenskunst
   * Im Gespräch
   * Schriftbilder
   * Philosophie
   * Zu Besuch
 * FORUM
 * Podcast
   * Geheimnisverrat
 * SHOP
 *  


EIN JAPANISCHER FLANEUR – NATSUME SŌSEKI



von Daniel Zöllner


> „Die Zivilisation braucht zuerst jedes erdenkliche Mittel, um die
> Individualität zur vollen Entfaltung zu bringen, jedoch nur, um danach alles
> daran zu setzen, dass die erreichte Individualität mit Füßen getreten wird.“

Dieser Satz könnte in einem europäischen Buch der Moderne stehen. Er steht
jedoch in einem Roman des japanischen Autors Natsume Sōseki, der 1906 in Japan
unter dem Titel „Kusamakura“ erschien. Im Nachwort gibt der Übersetzer Christoph
Langemann Auskunft über die Schwierigkeit, diesen Titel ins Deutsche zu
übertragen. Der japanische Begriff bedeute wörtlich „Gras-Kopfkissen“, es handle
sich um einen poetischen Topos, der auf die Einsamkeit der Natur verweise, auf
einen Wanderer, der nachts seinen Kopf nicht auf ein Kissen, sondern auf Gras
bettet. Der Ich-Erzähler von „Kusamakura“ ist ein Kunstmaler, der seine
Heimatstadt Tokyo verlassen hat, um pittoreske Motive zu suchen und Abstand zur
modernen Massengesellschaft zu gewinnen. So ist die Kritik an der modernen
Zivilisation nur hintergründig präsent. Sie bildet eine Art Negativfolie, der
die Schönheit der Natur, der traditionellen japanischen Kunst- und
Gebrauchsgegenstände, Bräuche und Nahrungsmittel entgegengehalten wird.

Kennzeichnend für den Ich-Erzähler ist sein Versuch, sich in eine „ästhetische
Existenz“ einzuüben und Distanz zu den menschlichen Leidenschaften zu wahren.
„Plötzlich war mir, als sähe ich mich selbst über eine bemalte Leinwand gehen“,
stellt der Ich-Erzähler an einer Stelle fest, und genau diese Art der
Wahrnehmung ist auch sein Ziel. Selbst die von seinen Gastgebern zum Tee
servierten Süßigkeiten schätzt er vor allem aufgrund ihres ansprechenden Äußeren
und nicht etwa deshalb, weil sie wohlschmeckend sind. Er schreibt zudem: „Auch
schreckliche Dinge können poetisch sein, wenn man sie ganz einfach von außen als
schrecklich ansieht, und Furchterregendes kann ein Bild abgeben, wenn man sich
von sich selbst distanziert und es nur als das betrachtet, was es ist.“ Nachdem
der Ich-Erzähler Gast in einem Kurort geworden ist, flirtet er mit der Tochter
des Wirts, genießt dabei aber vor allem den „poetischen Reiz“ einer in
Andeutungen wahrnehmbaren Erotik, ohne auf näheren Kontakt zu der jungen Frau
namens Onami zu drängen. Auch hier versucht der Maler, seinen Idealen der
Abgehobenheit, der Distanz und der rein ästhetischen Wahrnehmung treu zu
bleiben. Als Onami, von Dämpfen umhüllt, zu ihm ins Bad steigt, ist sein
Hauptgedanke, dass dies ein schönes Bildmotiv abgeben würde. Es kommt zwischen
den beiden im Verlauf des Romans auch niemals zu physischen Intimitäten.

Nicht nur auf westliche Leser wirkt der Mangel an Geschehen und
Charakterentwicklung, der eher statische Charakter von „Kusamakura“ irritierend.
Der Autor rechtfertigte sich nach der Veröffentlichung seines Romans gegenüber
Kritikern in einem kurzen Text, den der Übersetzer im Nachwort auf Deutsch
wiedergibt. Natsume Sōseki schreibt darin, das einzige Ziel beim Schreiben
seines „Kusamakura“ sei es gewesen, im Leser „eine gewisse Stimmung, eine
Empfindung des Schönen“ zu wecken und „alles Schmutzige und Unerfreuliche“ zu
vermeiden. Dafür habe er sogar in Kauf genommen, dass manche Leser das Buch als
langweilig empfinden würden. Wer das Buch liest, wird bemerken, dass der Autor
sich beim Schreiben keineswegs immer an seine später formulierte Maxime gehalten
hat, alles Schmutzige und Unerfreuliche zu vermeiden. Insbesondere der
Aufenthalt des Ich-Erzählers bei dem groben und wahrhaft kratzbürstigen Barbier
des Kurortes gestaltet sich alles andere als angenehm und erfreulich. Doch es
sind gerade diese Zwischentöne, die verhindern, dass der Roman zum naiven
illusionistischen Idyll herabsinkt. Hervorzuheben ist neben dem leisen Humor die
häufig wahrnehmbare Ironie und das immer präsente Bewusstsein, dass für den
Menschen eine rein ästhetische Existenz immer ein unerreichbares Ideal bleiben
wird.

Erstaunlich und besonders für den westlichen Leser äußerst reizvoll sind die
Parallelen zwischen „Kusamakura“ und der europäischen Literatur aus der Zeit der
Jahrhundertwende. Man kann den Maler aus „Kusamakura“ als eine japanische
Variante des Flaneurs ansehen, auch wenn sich seine Betrachtungen nicht (wie die
der europäischen Flaneure) auf das Leben der Großstadt, sondern größtenteils auf
die Natur beziehen. Im Nachwort nennt Christoph Langemann einige europäische
Vorbilder und Parallelen: Baudelaire, Huysmans, Wilde … Auch ein neueres Werk
wie Peter Handkes „Versuch über den geglückten Tag“ von 1991 weist eine
erstaunliche Nähe zum „Graskissenbuch“ auf.

Natsume Sōseki war durch eigene Lektüre und durch einen längeren Aufenthalt in
England mit der europäischen Literatur vertraut. Dennoch ist „Kusamakura“ alles
andere als ein Abklatsch europäischer Vorbilder. Der Roman schöpft vielmehr
wesentlich aus dem Eigenen der japanischen Kultur, besonders aus den Traditionen
des Zen-Buddhismus, der Kalligraphie, des Haiku und des Nō-Spiels, ebenso wie
aus dem Erbe der chinesischen Poesie. Man kann dem Übersetzer zustimmen, wenn er
den Roman im Nachwort einen „Kristallisationspunkt verschiedener Widersprüche“
nennt: Tradition und Moderne, Westliches und Östliches, Rationalität und
Emotionalität spielen in dem Roman ineinander.

Mit seiner feinsinnigen Kritik an der modernen Massenkultur, seinen
Darstellungen der Aporien einer ästhetischen Existenz, besonders aber mit seinen
Naturbeschreibungen, die gerade für westliche Leser einen herzbezwingenden
exotischen Reiz besitzen, ist „Kusamakura“ auch heute noch lesenswert. Auch wenn
der Autor (durchaus bewusst) nicht immer das Schmutzige und Unerfreuliche
vermieden hat, ist es ihm doch gelungen, eine anhaltende Empfindung des Schönen
im Leser zu wecken. Der Mut zur Schönheit um der Schönheit willen ist inmitten
moderner Orgien der Hässlichkeit sehr unzeitgemäß, aber ebenso notwendig.

Natsume Sōseki: Das Graskissenbuch. Übersetzt von Christoph Langemann. Berlin:
Bebra-Verlag 2020.



Weitere Beiträge


DER FREMDE NACHBAR

Literatur


DIE UNZUFRIEDENEN UNTERTANEN – EIN MÄRCHEN

Literatur


DAS ENDE

Aktuelles


PROTREPTIKOS (IV): EINHEIT UND UNENDLICHKEIT

Philosophie


KARIN BOYES GEDICHTE – DAS LYRISCHE WERK EINER POÉTESSE MAUDITE

Lyrik


DER FREMDE NACHBAR

Literatur

WIR ÜBER UNS
2017 – 2022
FOLGEN SIE UNS
 * Datenschutzerklärung
 * Allgemeine Geschäftsbedingungen

© Copyright © 2018-2022
Diese Internetseitseite setzt Cookies ein. Sie können der Verwendung zustimmen
oder diese verweigern. Akzeptieren Ablehnen Weiteres...
Privacy & Cookies Policy
Schließen

PRIVACY OVERVIEW

This website uses cookies to improve your experience while you navigate through
the website. Out of these, the cookies that are categorized as necessary are
stored on your browser as they are essential for the working of basic
functionalities of the ...
Necessary
Necessary
immer aktiv
Necessary cookies are absolutely essential for the website to function properly.
This category only includes cookies that ensures basic functionalities and
security features of the website. These cookies do not store any personal
information.
Non-necessary
Non-necessary
Any cookies that may not be particularly necessary for the website to function
and is used specifically to collect user personal data via analytics, ads, other
embedded contents are termed as non-necessary cookies. It is mandatory to
procure user consent prior to running these cookies on your website.
SPEICHERN & AKZEPTIEREN