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Künstliche Intelligenz


WIE NEUARTIGE CYBERATTACKEN MIT KI DIE BANKEN BEDROHEN

Geldhäuser geraten besonders häufig ins Visier von Hackern. Mit KI werden die
Angriffe zunehmen und ausgefeilter werden. Aufsichtsbehörden sind alarmiert.
Andreas Kröner, Elisabeth Atzler 28.06.2023 - 04:00 Uhr


Behörden warnen vor Cyberattacken unter dem Einsatz künstlicher Intelligenz.

Foto: dpa

Frankfurt. Nico Leidecker greift Banken an – und der Einsatz von Künstlicher
Intelligenz (KI) macht sein Leben leichter. Mit ChatGPT und ähnlichen Programmen
kann er Schwachstellen bei Geldhäusern besser ausspähen und Bankmitarbeitern
maßgeschneiderte Phishing-E-Mails schicken. Klickt nur ein Beschäftigter auf
einen Link oder einen Anhang in einer solchen E-Mail, kann der Hacker in die
Systeme der Institute eindringen.

„Für Banken und deren Kunden wird es deutlich schwieriger, solche Phishing-Mails
zu erkennen“, sagt Leidecker. „Gleichzeitig wird es für Angreifer auf der ganzen
Welt einfacher, deutsche Banken zu attackieren.“ Dank ChatCPT müssen
Cyberkriminelle schließlich keine Muttersprachler mehr sein, um fehlerfreie
E-Mails zu schreiben.

Leidecker arbeitet für die IT-Sicherheitsfirma Nviso in Frankfurt. Finanzfirmen,
Industriekonzerne und auch staatliche Stellen können sich von ihm attackieren
lassen, um Schwachstellen in der eigenen Organisation zu erkennen und zu
beheben. 

Banken stehen bei Cyberattacken mit KI besonders im Fokus, denn in der
Finanzbranche gibt es deutlich mehr Angriffe als in anderen Sektoren. Alle
Akteure brauchen schließlich Geld – und davon gibt es bei den Banken am meisten
zu holen. Bei erfolgreichen Attacken drohen nicht nur hohe Belastungen für die
Geldhäuser, sondern auch Risiken für die Finanzstabilität.



Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und die
Finanzaufsicht Bafin beobachten schon länger mit Sorge, dass Cyberangriffe auf
Banken professioneller werden. Nun bestehe das Risiko, „dass KI den Aufwand auf
der Seite der Täter deutlich verringern kann“, warnt die Bafin. „Begleitend zu
Cyberangriffen kann auch die Verbreitung von Fake News durch KI erleichtert
werden.“

Das BSI sorgt sich, dass KI künftig bei Täuschungsversuchen genutzt wird, bei
denen „gefälschte Stimmen oder Videos eingesetzt werden“. Zudem könnten
Kriminelle die Technologie bei der Programmierung von Schadsoftware verwenden.

Die Deutsche Kreditwirtschaft, ein Zusammenschluss der heimischen
Bankenverbände, hat bisher zwar keine Informationen über „relevante Angriffe“,
bei denen KI eingesetzt wurde. Auch sie sieht jedoch die Gefahr, dass Betrüger
ihre Attacken durch die neuen technischen Möglichkeiten verfeinern. 


ANGREIFER AGIEREN MIT FAKE-PROFILEN

Nviso-Hacker Leidecker nutzt KI vor Cyberattacken zunächst, um öffentlich
verfügbare Informationen über potenzielle Angriffsziele zu sammeln: zum Beispiel
Namen, E-Mail-Adressen und Telefonnummern von Bankmitarbeitern. Zudem schaut er,
welche Webseiten ein Finanzinstitut betreibt und mit welchen Partnern es
zusammenarbeitet.



„So können wir uns beispielsweise bei dem Angriff auf die Bank als Partnerfirma
ausgeben und gelangen unbemerkt – quasi durch die Hintertür – auf die Systeme
der Geldhäuser.“ Früher hätte das Sammeln von Informationen oft mehrere Wochen
gedauert. „Heute reichen dafür dank ChatGPT und ähnlicher Programme oft wenige
Tage.“ 

„Es wird also viel Verantwortung auf die Mitarbeiter abgeschoben.“

Foto: DigitalVision/Getty Images

Darüber hinaus setzt Leidecker KI ein, um falsche Identitäten zu schaffen. Es
gibt beispielweise Programme, mit denen sich Profilbilder von Menschen erstellen
lassen, die es gar nicht gibt. Nivso hat mehrere Fake-Personen mit falschen
Websites und LinkedIn-Profilen geschaffen – und pflegt diese intensiv. 

Die Fake-Personen vernetzen sich auf LinkedIn mit Experten aus ihrem angeblichen
Fachbereich und teilen hin und wieder auch Artikel, um glaubwürdig zu wirken.
„Wenn wir diese Profile dann zur Kontaktaufnahme nutzen, ist es für unser
Gegenüber extrem schwierig, diese als Fake zu identifizieren“, sagt Leidecker.


ANGRIFFE BLEIBEN UNBEMERKT

Seine Kollegin Désirée Sacher-Boldewin kann das bestätigten. Die 37-Jährige ist
bei Nviso nicht für Angriffe zuständig, sondern berät Unternehmen beim Aufbau
von Cyberabwehrzentralen. Vor ihrem Wechsel zu Nviso im Mai 2023 arbeitete die
Schweizerin knapp fünf Jahre für die Finanzinformatik, den zentralen
IT-Dienstleister der deutschen Sparkassen und Landesbanken.



„Wir haben in den vergangenen Monaten bereits viele gute Phishing-Versuche in
der deutschen Finanzbranche beobachtet, bei denen Angreifer vermutlich auch KI
eingesetzt haben“, erzählt Sacher-Boldewin. Über erfolgreiche Attacken sei
bisher zwar noch nichts bekannt. „Das liegt aber wohl nur daran, dass Angriffe
von Cyberkriminellen oft monatelang nicht erkannt werden.“

Aus ihrer Sicht sind die IT-Abwehrsysteme von Banken besser als bei Unternehmen
aus anderen Branchen, allerdings noch lange nicht gut genug. In vielen Fällen
seien Finanzinstitute heute noch darauf angewiesen, dass Beschäftigte selbst
erkennen, ob es sich bei einer E-Mail um Phishing handelt oder nicht.

„Es wird also viel Verantwortung auf die Mitarbeiter abgeschoben“, kritisiert
Sacher-Boldewin. Die Beschäftigten hätten jedoch oft gar nicht die Kapazitäten,
um bei allen externen Mails zu recherchieren, ob der Absender in Wahrheit
existiert oder nicht. 

Aus Sicht der Schweizerin müssen Banken ihre Cyberabwehrsysteme dringend stärken
– auch mithilfe von KI. Vielen Bankvorständen sei das bewusst, doch es hapere
oft an der Umsetzung. „Bis moderne Erkennungssysteme eingeführt werden, dauert
es in der Praxis zum Teil mehrere Jahre“, berichtet Sacher-Boldewin. Das liege
nicht nur an den hohen Kosten, sondern auch am Fachkräftemangel. „Bei vielen
Banken laufen die IT-Sicherheitsteams auf dem Zahnfleisch.“




BREMST DIE FINANZAUFSICHT DIE CYBERABWEHR? 

Die Herausforderungen bestehen nicht nur für die Banken, sondern auch für ihre
Kontrolleure, findet Sacher-Boldewin. Der Bankenaufsicht sei es beispielsweise
wichtig, dass alle Entscheidungen nachvollziehbar seien. „Bei KI-gestützten
Erkennungssystemen kann man aber in vielen Fällen nicht genau nachvollziehen,
warum bestimmte E-Mails geblockt wurden und andere nicht.“

IT-Sicherheitsexperten von Blackberry schätzen, dass ein großer Teil der
Cyberangriffe inzwischen mithilfe von KI läuft. Dagegen nutzten nur zehn bis 20
Prozent der Abwehrsysteme von Unternehmen und Behörden Künstliche
Intelligenz. Sacher-Boldewin zieht deshalb ein beunruhigendes Fazit:
„Cyberkriminellen bietet sich aktuell ein perfektes Zeitfenster für Angriffe.“

Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) weist diese Darstellung zurück. Die Banken
täten bereits viel für die Gewährleistung von Cybersicherheit. Teilweise setzten
sie dabei auch schon maschinelles Lernen und KI ein. 

Die Bafin sieht die Regulierung beim Kampf gegen Cyberangriffe nicht als
„bremsendes Element“. Wichtig ist aus Sicht der Finanzaufsicht vor allem, dass
Banken ihre Abwehrsysteme richtig kalibrieren. „Falsch trainierte Systeme
erkennen Angriffe unzureichend oder gar nicht“, warnt die Bafin. Übertrainierte
Modelle produzierten zu viele Fehlalarme. 




BSI SIEHT VIDEO-IDENT-VERFAHREN KRITISCH

Sorgen bereitet Aufsehern und Bankern gleichermaßen, dass durch KI völlig
neuartige Angriffe möglich sind. Kriminelle können beispielsweise Stimmen
fälschen und manipulierte Sprachnachrichten von einer vermeintlich bekannten
Telefonnummer auf der Mailbox von Bankmitarbeitern oder Kunden hinterlassen.
Auch Pässe, Hologramme und Videoaufnahmen lassen sich fälschen.

Live-Gespräche per Audio oder Video zu imitieren, schaffe KI aktuell zwar noch
nicht, sagt Nviso-Hacker Leidecker. „Das könnte sich in Zukunft aber ändern, da
sich die Technik schnell weiterentwickeln wird.“

Zusätzliche Gefahren entstehen dadurch unter anderem für Video-Ident-Verfahren,
die Banken bei der Eröffnung von Konten nutzen. Neue Kunden müssen dabei ihren
Ausweis in die Kamera halten. Eine Software oder eine Person auf der anderen
Seite überprüft dann, ob Ausweis und Gesicht zueinander passen. 

Die DK ist der Ansicht, dass die in Deutschland verwendeten
Video-Ident-Verfahren „ausreichend sicher“ sind und sich in der Praxis bewährt
haben. Sicherheitsexperten und das BSI beurteilen das Verfahren dagegen
kritischer. 



Der Einsatz von KI und sogenannten Deep Fakes, bei denen Stimmen und Videos
gefälscht werden, werde sich weiterentwickeln, betont das BSI. Dadurch steige
„das Bedrohungspotenzial für diese Art der Fernidentifikation
weiter“. Videobasierte Lösungen könnten daher grundsätzlich „nicht dasselbe
Sicherheitsniveau erreichen wie beispielsweise die Online-Ausweisfunktion des
Personalausweises.“ 

Nviso-Experte Leidecker glaubt, dass alle Menschen künftig stärker darauf achten
müssen, dass sie es bei Textnachrichten oder Telefonaten auf der anderen Seite
mit der richtigen Person zu tun haben, bevor sie vertrauliche Dinge austauschen.
„Wie groß die Gefahr ist, mithilfe von KI getäuscht zu werden, ist den meisten
Menschen noch nicht bewusst.“

Sein persönliches Umfeld hat der 39-Jährige inzwischen sensibilisiert – und ein
zusätzliches Sicherheitsnetz eingezogen. „Wir haben in der Familie ein Codewort
festgelegt, das wir abfragen, wenn uns bei einer Unterhaltung am Telefon und per
Video-Call irgendetwas komisch vorkommt.“
Mehr: Volksbanken fordern kompliziertere Onlinebanking-Passwörter

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