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STARS DER WOCHE


 * CLAUDIA NEUMANN
   
   "Organisatorisch wird das sicher eine gelungene WM", sagt ZDF-Kommentatorin
   Claudia Neumann. "Aber dahinter werden die großen Probleme versteckt."
   
   ZDF / Torsten Silz
   
   Bild 1 von 3


 * CLAUDIA NEUMANN
   
   "Kraftvoll von oben herab die Richtung diktieren ist das zentrale Problem des
   Fußballs", befindet Claudia Neumann.
   
   ZDF / Torsten Silz
   
   Bild 2 von 3


 * CLAUDIA NEUMANN
   
   Bei der Fußball-WM in Katar sitzt Claudia Neumann für das ZDF in der
   Kommentatorenkabine.
   
   ZDF / Felix Schmitt
   
   Bild 3 von 3


"BEI DER VERGABE EINER WM GEHT ES VOR ALLEM UM NACHHALTIGKEIT"

13.11.2022 von Julian Weinberger

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Wenn ab 20. November der Fußball bei der WM in Katar rollt, dann geht es um weit
mehr als VAR, Elfmeterschießen und Abseits. Das sieht auch ZDF-Kommentatorin
Claudia Neumann so. Ein Gespräch über Boykott-Forderungen, scheinheilige
Argumentationen - und Uli Hoeneß.



Ab 20. November blickt die Welt nach Katar, wenn der Anstoß zur Fußball-WM
erfolgt. Doch bei allen sportlichen Höhepunkten, die das Turnier verspricht,
sind die politischen Begleiterscheinungen so präsent wie bei wohl keiner
Weltmeisterschaft zuvor. Verletzungen der Menschenrechte, Homophobie, fehlende
Nachhaltigkeit - die Wettkämpfe in Katar offenbaren gravierende Probleme, vor
allem auch im Vergabeprozess der WM, wie Claudia Neumann kritisiert. Die
Kommentatorin reist für das ZDF nach Katar. Zuvor erklärt sie im Interview,
welchem besonderen Auftrag das öffentlich-rechtliche Fernsehen bei der
Berichterstattung nachkommen muss und warum ein Boykott nichts bringt.

teleschau: Es wird eine Weltmeisterschaft werden, die politisch so aufgeladen
ist wie selten zuvor. Wie trägt das ZDF diesem Umstand Rechnung?

Claudia Neumann: Indem wir eine üppige Rundumberichterstattung mit allen
relevanten Themen bieten. Das konnte man im Kleineren auch schon bei der
Frauen-EM erleben, auch wenn es da nicht um Menschenrechte ging, sondern um
Gleichberechtigung und Frauenrechte. Da haben wir rund um die Fußballspiele auch
die gesellschaftspolitischen Fragen beleuchtet. Bei der Fußball-WM in Katar wird
das vom Ausmaß her für viele Zuschauerinnen und Zuschauer ein Novum sein. ARD
und ZDF werden da einen ähnlichen Kurs fahren und alle relevanten Themen abseits
des rollenden Balls journalistisch aufgreifen.

teleschau: Wie werden diese Rahmenbedingungen Ihre Arbeit in der
Kommentatorenkabine beeinflussen?

Neumann: Gar nicht, das muss ich offen sagen. Organisatorisch wird das sicher
eine gelungene WM, gerade was die infrastrukturellen Dinge angeht, die uns
Journalisten und unsere Arbeit betreffen: kurze Wege, Aufenthalt in nur einem
Hotel, ohne umziehen zu müssen, moderne Stadien, eine neue U-Bahn. Es war zu
erwarten, dass Katar da seinen ganzen Glanz erscheinen lässt. Unter diesem
Gesichtspunkt wird vieles positiv sein, was aber nicht den Blick hinter die
Fassade "verblendet".

teleschau: Auf der anderen, weniger glänzenden Seite der Medaille stehen
Verstöße gegen die Menschenrechte, Homophobie und ein antiquiertes Frauenbild.
Mit welchem Gefühl reisen Sie nach Katar?

Neumann: Für uns Journalisten mag das Turnier komfortable Umstände mit sich
bringen, aber das würde für mich niemals eine WM-Vergabe in solch ein Land
rechtfertigen. Werte, die der Fußball transportieren möchte, werden dort
sprichwörtlich mit Füßen getreten. Ich war schon zweimal in Katar - als
begleitende Journalistin beim Trainingslager des FC Bayern. Von daher habe ich
mich in den vergangenen Jahren regelmäßig mit Katar und der dortigen
Menschenrechtssituation beschäftigt. Westlichen Besuchern wird der rote Teppich
ausgerollt und ein Gefühl von Wohligkeit vermittelt. Im normalen Arbeitsalltag
wird uns entsprechend nichts von dem begegnen, was uns darüber hinaus bewegen
könnte.

teleschau: Was im Sinne der Ausrichter sein dürfte ...

Neumann: Natürlich steckt seitens Katars eine Strategie dahinter. Das ist auch
die Krux: Man bietet uns einen idealen Austragungsort an, an dem alles wie am
Schnürchen läuft - aber dahinter werden die großen Probleme versteckt. Deshalb
ist es auch so sinnvoll, die Berichterstattung zweizuteilen - zum einen die
Journalisten, die sich um das Sportliche kümmern, und zum anderen die
Journalisten, die über die Geschichten dahinter berichten. Man kann innerhalb
eines 90-minütigen Fußballspiels nicht permanent zwischen den Themen wechseln.
Damit würde man weder den Sportlern noch den relevanten Themen gerecht.


"ULI HOENESS' HERANGEHENSWEISE IST EBEN JENE, DIE KEINER MEHR WILL"



teleschau: Was halten Sie von den Rufen nach einem Boykott, die immer wieder
laut wurden?

Neumann: Der Fehler ist 2010 passiert und nicht jetzt. Ich bin gegen einen
Boykott und vor allen Dingen dagegen, den Funktionären die Argumentation
abzunehmen, dass Themen wie die Menschenrechtslage endlich in der Öffentlichkeit
diskutiert werden und Besserung angeschoben wird. Das hatten die
Verantwortlichen vor zwölf Jahren aber auch so gar nicht im Hinterkopf - da ging
es nur um Geld.

teleschau: Ende September sorgte Uli Hoeneß mit einem Anruf im "Doppelpass" für
Aufsehen. Er verurteilte Katar-Kritiker und argumentierte, der Sport könne in
Katar vieles bewirken. Ist das Augenwischerei oder sehen Sie im Sport wirklich
das Potenzial zur Verbesserung der Lage in Katar?

Neumann: Dass der Fokus jetzt da ist und der Sport mit seiner Strahlkraft wirkt,
ist sicherlich nicht schlecht. Aber ich würde behaupten, dass das bei der
Vergabe damals so überhaupt keine Rolle gespielt hat. Deshalb finde ich so
manche Argumentation scheinheilig. Und Uli Hoeneß' Art und Weise, einen Dialog,
einen Diskurs zu führen ist wahrlich aus der Zeit gefallen. Natürlich muss man
die Perspektive der Kritiker zulassen, aber seine Herangehensweise ist eben
jene, die keiner mehr will: Kraftvoll von oben herab die Richtung diktieren ist
das zentrale Problem des Fußballs.

teleschau: Heißt was?

Neumann: Man muss bei der Vergabe von Sportveranstaltungen konsequent und
glaubwürdig sein. Wenn Mindeststandards nicht eingehalten werden, aber nach fünf
oder sechs Jahren eine nachhaltige Verbesserung eintritt, kann man über eine
Vergabe sprechen. Aber erst mal die Vergabe beschließen, das Geld kassieren und
anschließend diese Argumentationslinie aufzunehmen, finde ich definitiv nicht
glaubwürdig.

teleschau: Trotzdem liebäugelt mit Saudi-Arabien bereits der nächste
zweifelhafte Staat mit der Ausrichtung der WM 2030. Welche Kriterien müssten bei
der Vergabe vorrangig gelten?

Neumann: Es geht vor allem um Nachhaltigkeit. Außerdem sollte die Akzeptanz der
Menschen in dem Land für das Großereignis vorhanden sein. Geld und irgendwelche
korrupten Verwicklungen dürfen keine Rolle spielen, aber das tun sie leider.
Wenn ich jetzt höre, dass die Asiatischen Winterspiele nach Saudi-Arabien
vergeben werden, kann man sich wirklich nur an den Kopf fassen.

teleschau: Wie kann man dem entgegenwirken?

Neumann: Es braucht Good Governance und Glaubwürdigkeit. Also eine neue Struktur
in den großen Sportverbänden. Und Menschen mit vielfältigen Erfahrungen,
Fähigkeiten und Motivationen. Es wirkt immer noch alles ziemlich verkrustet,
häufig getrieben von Eigeninteressen. Solche Veränderungsprozesse sind
kompliziert, weil diejenigen die vom gängigen System profitieren,
Beharrungskraft entwickeln und gegen persönlichen Machtverlust ankämpfen.




"DER MORALISCHE ZEIGEFINGER IST NICHT ANGEBRACHT"



teleschau: Der Menschenrechtskongress des DFB im September wurde von
Fanverbänden kritisiert. Gleichzeitig widersprach DFB-Präsident Bernd Neuendorf
FIFA-Boss Gianni Infantino und setzte sich für Entschädigungsfonds zugunsten der
Hinterbliebenen der toten Gastarbeiter ein. Wie beurteilen Sie die Rolle des DFB
angesichts der herannahenden WM?

Neumann: Das kann ich natürlich momentan nur von außen verfolgen. Bernd
Neuendorf als DFB-Präsident ist für mich glaubwürdig in seinem Bemühen,
relevante Dinge voranzutreiben. Ich denke schon, dass er die richtigen Themen
auf seiner Agenda hat. Trotzdem würde ich mir manchmal klarere Zeichen in allen
möglichen Themenbereichen wünschen - eine richtige Weichenstellung, die jeder
mitbekommt und die einen Aha-Effekt zur Folge hat.

teleschau: Wie schlägt sich Bernd Neuendorf?

Neumann: Er ist immer auch Politiker, er macht das mit sehr viel Ausdauer auf
der diplomatischen Ebene. Dass er sich für den Fonds ausgesprochen und sich in
puncto Frauenrechte an die Seite von Lise Klaveness, der Präsidentin des
norwegischen Fußballverbands, gestellt hat, dass er mit der
Bundesinnenministerin im Austausch ist - das sind erst mal gute Bestrebungen.
Ich würde mir aber insgesamt noch klarere Kante wünschen.

teleschau: Und wie sieht es bei der DFB-Elf aus?

Neumann: Die Mannschaft und der innere Zirkel sind erst relativ spät aufgewacht.
Aber der moralische Zeigefinger ist da überhaupt nicht angebracht. Über viele
Jahrzehnte war es völlig unüblich im Sport, politische Fragen mitzudiskutieren.
Erst jetzt beginnt langsam ein Umdenken. Menschen merken, dass sie mit ihrer
Argumentation, Sport und Politik gänzlich voneinander zu trennen, nicht mehr
weiterkommen. Den Trend, dass Athleten ihrer Verantwortung gerecht werden und
Haltung präsentieren, finde ich begrüßenswert.

teleschau: Wie wird nach Ihrer Einschätzung die Rezeption der WM von Fanseite
ausfallen?

Neumann: Es ist eine zentrale Frage, ob all diejenigen, die Boykotte angekündigt
haben, konsequent bleiben. Wir haben in der Corona-Zeit gesehen, dass ein
Großteil der Fan-Szene sehr sachlich und konstruktiv die Mechanismen des
Kommerzes hinter dem Fußball kritisiert hat. Einige Macher haben gezittert, ob
die Stadien danach wirklich noch voll werden. Und jetzt sehen wir: Die Stadien
sind rappelvoll. Bei der WM als Fan einen Boykott konsequent gegen die eigene
Leidenschaft durchzuziehen, wohl wissend, dass es auch nur ein Tropfen auf dem
heißen Stein ist, - mal sehen!

teleschau: Noch dazu findet die WM zu einem ungewohnten Termin im Winter statt
...

Neumann: Ich finde es schrecklich, dass es den Terminkalender so
"zusammengepfercht" hat. Alle Spieler sind überlastet. Es gibt nur noch
englische Wochen und Wettbewerbe, die keiner braucht, Stichwort Conference
League. Aber eine WM mal im Winter zu spielen, finde ich, wenn man die Umstände
mal außer Acht lässt, nicht schlimm. Viele machen sich Sorgen, ob das wegen der
Weihnachtsstimmung oder mit Glühwein Sinn ergibt - ich könnte mir das ganz
witzig vorstellen mit Glühwein und Freunden vor dem Fernseher.

teleschau: Wegen des engen Terminkalenders gibt es auch so gut wie keine
Vorbereitung. Erwarten Sie eine WM der Überraschungen?

Neumann: Ich befürchte, nein. Ich glaube aber schon, dass sich eine neue
Spielergeneration in den Mittelpunkt spielt. Wir werden nicht nur auf Ronaldo
und Messi schauen, die ohnehin kämpfen müssen, um noch zur Spitze zu gehören.
Stattdessen können Kylian Mbappé, der ja schon etabliert ist, oder Jude
Bellingham und auch Jamal Musiala eine große Rolle bei der WM spielen. Es gibt
so viele vielversprechende Top-Talente. Bei den Teams tippe ich auf die üblichen
Verdächtigen: Auf europäischer Seite sind das Frankreich, England, Spanien und
Deutschland, darüber hinaus natürlich Brasilien und Argentinien.



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