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Die Ölkrise ist kaum vorbei, die Opiumkrise ist kaum vorbei, die Jahrtausendwende ist kaum vorbei, Proust ist gerade einmal sieben Jahre tot, da schwebe ich in meinem traditionsreichen Europa im Bett und sehe Schemata an den Wänden. Was mir mein bildschirmförmiges Leben über den langen Tag auf die Netzhaut gebrannt hat, entsteht auf den $chatten, die mein ruhender Körper wirft und wandert blinkend über den atmenden Berg (der mein Körper ist). Wie eine Prozession zieht der vergangene Tag über mir her. Larry sitzt im Stock Exchange und sieht genervt auf eine Horde Broker und IT-ler hinab, die im Wechsel Staubsaugerroboter aufeinander loslassen, wie bei einem Hundekampf. Dietrich ist der, der immer verliert. Lass die Emotionen aus dem Spiel, Dietrich, sagen sie, während ihre Roombas, Blaupunkts, Samsungs, Proscenics und Severins ineinanderkrachen. Hier geht’s um Taktik, denn es ist kein Glücksspiel. Der Rhythmus der kollidierenden Roboter wiegt mich in den Schlaf, Quartale sind Gezeiten, der Mond nur noch einen Flügelschlag entfernt. Fuck Larry, dein Anzug sieht wieder geil aus. Und ich dachte, Form sei etwas, das man sich nicht anziehen kann. Nee Larry, der Anzug ist so nice, das ist keine Geschmackssache mehr. Larry, du weißt, was Schönheit ist. Lass uns doch nach der Arbeit noch was trinken. Nein? Warum denn nicht? Denn Larry kommt zu mir nach Hause. Er nimmt mich in den Arm. Ich träume von einer Wüste, in der es Rohstoffe gibt und Arbeiterinnen, die Datensätze aus der Erde graben. Es sind die 1970er und die späten Neunziger, und es ist Kalifornien 1857, das heißt, es wird emsig produziert. Es wird heftig geschaufelt, und alle singen den Song, der nie funktioniert. Der Boden ist eine harte Pfirsichhaut, die Arbeiterinnen stellen ihre Körper zur Verfügung, in der Hoffnung, am Ende des Monats gut bezahlt zu werden. Von dem Geld ließe sich kaufen: Zeit mit dem Boy- oder Girlfriend im Nail Salon, ein paar Stunden Rodeo oder das neue Kleid von Gianni V. Wir hoffen, dass wir uns einlösen!, rufen sie, und ich bin mir sicher, dass ich das im Schlaf mitspreche. Wenn Larry in seiner WG ist, sitzt er in seinem Zimmer und plant seine Mahlzeiten so, dass er seinen holländischen Mitbewohnern nicht begegnet. Deswegen kommt er abends oft zu mir. Ich sehe mich auf meiner Couch und ihn am Küchentisch – two glasses in –, und er erzählt von Justinas, dem ehemaligen Vorgesetzten, dem sie die Nase abgeschnitten haben. Warum? Weil er keine arabische Währung akzeptieren wollte. Das hätte die eigene Münze zu stark abgewertet und so den Steuerzahler entlastet. Also stand mal wieder die OPEC gegen das byzantinische Reich, könnte man sagen. Das Resultat ist dann wie so oft Gesichtsverlust – wenn auch in diesem Falle nur teilweise –, Öl-Embargo und Inflation. Larry lacht. Er ist wie dieser Text, auch er ist nicht er selbst. Auch er wartet ängstlich darauf, dass endlich eintritt, wohin er sich aufgeschoben hat, dass er ist, wohin sein $chatten fällt. Dass der S&P 500 unter 3000 fällt. Oder über 5000 steigt, was weiß denn ich. Dass er die Optionsscheine endlich einlösen und sich hoffentlich etwas anderem widmen kann. Larry, ich will wissen, wie du dich in meinem Mund anfühlst, aber ich habe eine Freundin. Möchten Sie weiterlesen? Mit dem Digital-Abo erhalten Sie freien Zugang zum gesamten MERKUR, mit allen Texten von 1947 bis heute. Testen Sie 3 Monate Digital-Abo zum Sonderpreis von nur 9,90 Euro. Jetzt Probelesen Sie sind Digital-Abonnent? Anmelden. Sie sind Digital-Abonnent? Anmelden. Jasper Westhaus zur Autorenseite Heft: 896 Januar 2024, Jahrgang 78 Der Merkur ist seit 1947 eine der wichtigsten Kulturzeitschriften im deutschsprachigen Raum. DER MERKUR * Verlag * Was ist der Merkur? * Herausgeber / Redaktion * Mediadaten ABONNEMENT * Abo Print * Abo digital * Probeabo * Vergünstigtes Abo * Geschenkabo Abo kündigen SHORTLINK * Gratis-Artikel * Newsletter * Blog * Archiv * Kontakt * Impressum * Datenschutz NEWSLETTER Abonnieren Sie jetzt unseren Merkur-Newsletter und erhalten Sie exklusive Artikel, Essays etc. - nur für unsere Newsletter-Abonnenten. mehr erfahren © 2024 J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH | Technische Umsetzung: ganztags. GmbH Sprache 1 Sprache 2 Sprache 3 Datenschutz auf dieser Seite Wir erheben und verarbeiten Ihre Daten auf dieser Website, um besser zu verstehen, wie sie verwendet wird. Sie können allen oder ausgewählten Verwendungszwecken zustimmen oder alle ablehnen. Analytics Alles akzeptierenAlles ablehnen Einzelheiten der EinwilligungEinzelheiten der Einwilligung verbergenDatenschutzerklärung AnalyticsWir erheben Daten über Ihren Besuch auf unserer Website. 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