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Michael

Taterka

Fotografie

Info und Kontakt

 Blank - (Bin ich nicht ich, bin ich nichtig.) 






 Ein Herbstmorgen mit Anna - Coaching für Promovierende











BürgerStiftung Hamburg - Guter Rat vor Ort











Wir bauen Zukunft e.G. - Tee der Zukunft







Lebendiger Landbau - Solidarische Landwirtschaft



















Auf einen Spaziergang mit Valentin - Trauma-informierter Coach und
Unternehmensberater












BürgerStiftung Hamburg - Besuch auf dem Bauspielplatz












Arla Bio










Wir bauen Zukunft e.G. - Menschen










Wildplastic - Workshop-Begleitung beim Team-Retreat










Abschied von Fritzi




Domino



Baltikroute - Die Fluchtgeschichte meiner Oma, Erna Negnal, 1945 aus Ostpreußen
und Russland, Bilder eine Reise zu meinen Wurzeln



Nach dem Öffnen der Wagenplane sah man weiter nichts als die schemenhaften
Umrisse von Güterwagen und, durch die Scheinwerfer der Transportautos
beleuchtet, Gestalten, die sich langsam in Richtung der Waggons bewegten. Jetzt
gab es keine Zweifel mehr. Hier musste ein Sammelplatz für die lebende Fracht
sein, die nach Russland transportiert werden sollte. [...] Vorerst waren wir
alle wie gelähmt, aus Angst, vor Erschöpfung, aber auch durch den großen Kummer.
Keiner sprach ein Wort, nur leises Schluchzen war zu hören. Ich konnte nicht
weinen! Vielleicht lag es daran, dass ich noch so jung war und meine Gedanken
auch in dieser erbärmlichen Situation nur um einen Gedanken kreisten - wie komme
ich hier heraus?



Der Zug rumpelte eintönig, aber sehr langsam über die Gleise. Für mich wurde es
Zeit aufzubrechen. Zuerst beförderte ich den Rucksack und alles, was nicht
hineinpasste, nach draußen. Ohne viel Abschiedsworte kletterte ich auf den
Rücken der kräftigen Frau, quetschte mich mühevoll durch die Öffnung, fand auch
ein wenig Halt mit den Füßen an der Außenwand und sprang. Alles ging so rasend
schnell.



Eine Vorstellung von dieser Gegend hatte ich überhaupt nicht. Woher auch? Erst
als Onkel Pawel eine alte Landkarte aus einer Schublade herauskramte, wurde mir
bewusst, dass der Rückweg bis Königsberg sehr, sehr weit war, denn ich befand
mich in der Nähe von Pskow am Paipussee. Der alte Mann erzählte mir, dass in
seinem Dorf nicht mehr viele Menschen leben würden. Die jungen Männer, soweit
sie noch lebten, waren noch nicht aus dem Krieg heimgekehrt und eine Anzahl
Frauen und Mädchen wurden zur Zwangsarbeit deportiert.



In der Küche saß Onkel Pawel am Tisch und schaute mich ganz bedeutungsvoll an.
Im Augenblick konnte ich mir nicht erklären, was das zu bedeuten hatte. Er ging
an den Kühlschrank, holte zwei Wassergläser heraus, nahm einen irdenen Krug vom
Bord, goss eine klare Flüssigkeit in die Gläser und sagte ganz würdevoll: „Der
Krieg ist aus, Berlin kaputt, Hitler tot!“ [...]

Plötzlich fiel mir ein, dass ich nicht einmal wusste, welches Datum wir hatten,
und erfuhr, es war der achte Mai 1945. In zwei Tagen hatte ich Geburtstag,
meinen siebzehnten. Fast hätte ich nicht mehr daran gedacht.



Er machte sich Gedanken, wie ich meinen Rückmarsch in die Heimat bewältigen
könnte. Seiner Meinung nach würde dieser als Mädchen unmöglich sein und er
stellte sich deshalb vor, die Haare kurz abzuschneiden und mich wie einen
Landstreicher auszustaffieren. [...] 

Unterwegs sollte ich möglichst Ansiedlungen meiden, um nicht unnötig Verdacht zu
erregen. Jetzt erst merkte ich so richtig, was mir auf dem langen Weg ganz
alleine bevorstand, wenn ich ihn bewältigen wollte. Wichtig sei, so sagte er,
dass ich täglich ein paar Stunden schlafe, nicht friere, etwas zu essen finden
und heile Füße habe, dann könnte man große Anstrengungen bewältigen.




Onkel Pawel fiel es sichtbar schwer, mich so in den Abend zu schicken, denn ich
musste mich hauptsächlich abends und in der Morgendämmerung bis zum Hellwerden,
wenn noch alles schläft, bemühen, vorwärts zu kommen. Am Tage sollte ich mich
verstecken. Zunächst war mir recht beklommen zumute, aber die gegenwärtige
Anpassung an die neue Lage brauchte meine ganze Aufmerksamkeit, so dass dieses
Gefühl bald verschwand. Wenn wir auch früher häufig gewandert sind, doch stets
in der Gruppe mit Kompass und Uhr auf bekannten Straßen und Wegen. [...]

Ich musste zugeben, dass mein großer Mut mit dem Einbruch der Dunkelheit mächtig
zusammenschrumpfte. Diese Beklemmung war aber anders als vor der Verschleppung.
Sie ließ sich bekämpfen und schließlich überwinden. [...] In dieser Nacht wollte
ich möglichst 20 Kilometer schaffen. Dann könnte ich vielleicht morgen in
Lettland sein.



Unschlüssig, wie ich mich nun verhalten sollte, ließ ich meinen Blick schweifen
und entdeckte völlig abseits die Umrisse eines Daches, inmitten von
verwahrlosten Bäumen. Wenn dieses Anwesen unbewohnt wäre, könnte es der richtige
Unterschlupf für mich sein. Es war wirklich keine Menschenseele weit und breit
zu spüren. Die einstigen Bewohner mussten schon lange fort sein. Alles war
schmutzig und verstaubt, die Fensterscheiben waren kaputt und die Haustür hing
schief in den Angeln. [...] Ich schaffte es gerade noch, mir die Fußsohlen mit
Onkel Pawels Heilsalbe einzureiben, von der er mir eine große Dose eingepackt
hatte, dann musste ich gleich eingeschlafen sein.



So richtig feste Straßen gab es in dieser Gegend nicht. Die Dörfer waren durch
Landwege verbunden, die sich in einem katastrophalen Zustand befanden. [...]
Onkel Pawel hatte gesagt, dass überall viele Ruinen zu finden wären, die meisten
Gebäude stünden leer. Die Bewohner hätten die Kämpfe nicht überlebt oder wären
geflohen. Hier könnte ich mich gut verstecken, wenn deren Lage außerhalb von
Orten wäre. Daran wollte ich mich halten.



Für die etwa 700 Kilometer Luftlinie bis Königsberg, so hatte ich mir
ausgerechnet, musste ich, wenn alles glatt gehen würde, bestimmt einen Monat
einplanen. Danach wäre ich Mitte Juli am Ziel. Ganz so sollte meine Rechnung
dann aber doch nicht aufgehen. Solange ich noch etwas Essbares in meinem
Rucksack hatte, bestanden keine Probleme. Dann aber wurde es schwierig, so dass
mir nichts anderes übrig blieb, als bei Menschen, die selbst kaum etwas hatten,
zu betteln.




In dieser Gegend stieß ich des öfteren auf Hütten, von besiedelten Orten weit
entfernt, jedoch meist verfallen oder stark beschädigt. Für mich bedeuteten sie
aber immer wieder sicheren Unterschlupf. Manchmal musste ich mir meinen
Schlafplatz auf dem nackten Boden zurecht machen, weil alles verwüstet war. Doch
auch dort kann man schlafen, wenn man so erschöpft war wie ich.



Mittlerweile hatte ich litauisches Gebiet erreicht und müsste mittlerweile die
Hälfte des Weges hinter mich gebracht haben. Welches Datum geschrieben wurde,
wusste ich nicht, nur, dass es schon Junitage sein mussten. Rundherum war alles
trostlos. Überall Verwüstungen, Öde und Leere und bei den wenigen hier lebenden
Menschen Not und Elend. Wieder entdeckte ich einen verlassenen Gutshof in der
Nähe meines Weges und bezog dort meine Bleibe für die Nacht. Den letzten Namen,
den ich mir auf der Landkarte gekennzeichnet hatte, war Siauliai.



Meine Gefühle waren derart durcheinander geraten, dass ich mich erst mal
beruhigen musste. Einerseits hatten Menschen dieses Volkes versucht, mich zu
deportieren, haben mir Heimat, Eltern, überhaupt alles, was ich besaß, genommen,
und heute gaben mir Menschen mit der gleichen Uniform zu essen und auch noch
Wegzehrung. Der Wille zum Überleben und der Hunger hatten jetzt aber Überhand,
so dass in dieser Situation alle Empfindungen wie Trotz, Scham und Wut
ausgeschaltet waren. Diese Erfahrung machte ich immer wieder.



Neben den brennenden Füßen plagte mich ein quälender Hunger. Nirgends bot sich
eine Möglichkeit, den Magen zu besänftigen. Mit einigen Schluck Wasser und der
Hoffnung auf den nächsten Tag musste ich mich zufriedengeben. Den schmerzenden
Füßen verschaffte ich noch etwas Linderung und dachte wieder einmal voller
Dankbarkeit an Onkel Pawel. Was wäre aus mir geworden ohne ihn!




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