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BLOG.DAVIDP.DE


DAS OFFENE WEB UND DAS GELD

Im Mai 2023 wurde die Suchmaschine Neeva abgeschaltet. Dass die meisten Menschen
vermutlich bis heute noch nie von Neeva gehört haben, dürfte der wichtigste
Grund dafür gewesen sein.

Neeva war eine Suchmaschine, die zur Refinanzierung statt auf Werbeanzeigen auf
ein Abomodell setzte. Das dürfte der zweitwichtigste Grund für das Scheitern des
Angebots gewesen sein.

Als Anwender*innen sind wir seit mehr als einem Vierteljahrhundert daran
gewöhnt, dass Google und Co. uns kostenlos binnen Sekundenbruchteilen die Welt
zu Füßen legen. Da scheint es ein Schritt in die falsche Richtung zu sein, jetzt
neben drei Videoservices, einem Musikstreamingdienst, dem Onlinegaming-Service,
zwei Nachrichtenseiten und ungezählten App-Abos auch noch Geld für die
Suchmaschine zu bezahlen. Zumal Google ja auch unangefochten als beste und
zuverlässigste Suchmaschine gilt. Und wer ein bisschen was auf seine
persönlichen Daten hält, ddgt [diːdiːdʃiːt] eben bei duckduckgo. Ist ja auch
kostenlos.


WERBEFINANZIERUNG

Was wir dabei übersehen, der Betrieb einer Suchmaschine kostet Geld. Neben den
Kosten für Server, Infrastruktur und Energie, investieren Google, Microsoft und
andere verbliebene Suchmaschinenbetreiber jedes Jahr enorme Beträge in die
Weiterentwicklung ihrer Software und das sogenannte Crawling des Webs (also das
Durchforsten und Katalogisieren des Netzes). Eine komplett eigenständige neue
Suchmaschine zu entwickeln, würde Milliarden kosten. Auch Duckduckgo und andere
alternative Suchmaschinen greifen daher auf die Webindizes von Bing und Google
zurück und bezahlen ihre großen Konkurrenten dafür.

Refinanziert werden die Suchangebote in aller Regel mithilfe von
Werbeeinblendungen. Gerade im Fall von Google hat das im Laufe der Jahre zu
einer merklichen Verschlechterung der Ergebnisqualität geführt.
Suchmaschinenspam von anderen werbefinanzierten Trash-Angeboten wie Pinterest,
LinkedIn oder speziell im deutschsprachigen Raum die Seite gutefrage Punkt net,
dominieren die Googleergebnisseiten. Als größtes Werbeunternehmen der Welt kann
Google diese Seiten im Ranking nicht hinreichend für die Werbeüberfrachtung
abstrafen (nicht selten wird die Werbung auf diesen Seiten schließlich über das
Google-Werbenetzwerk AdSense ausgeliefert). In der Folge fühlt das Web sich
nicht selten an, wie ein zugemüllter Strandabschnitt: kaputt.

Die Werbefinanzierung des Webs ist also ein Problem. Gerade dann, wenn sie die
Angebote großer Gatekeeper betrifft. Neben Suchmaschinen gilt das zum Beispiel
auch für Social Networks: Die Abhängigkeit von Werbedollars sorgt dafür, dass
das Angebot nicht mit Blick auf die Anforderungen der Nutzer*innen hin designt
wird, sondern auf die der Werbekundschaft. Zunächst klingt das harmlos, doch je
stärker wir im Alltag von den Leistungen dieser Angebote abhängig sind, desto
deutlicher wird die Problematik.

Der Kollaps von Twitter nach Übernahme durch den politisch fragwürdigen
Milliardär und Tunnelbauunternehmer Elon Musk hat gezeigt, wie schwer es vielen
Nutzer*innen fällt, sich von Plattformen zu lösen. Selbst dann, wenn Reichweite
dort nur noch käuflich zu erreichen ist und der Diskurs entsprechend von
nicht-gesellschaftsfähigen Individuen dominiert wird.


WAS SIND DIE ALTERNATIVEN?

Zugleich zeigt gerade das Ende von Twitter auch, dass es auch anders gehen kann.
Denn mit Mastodon und dem Fediverse gibt es nicht erst seit 2023 eine sinnvolle
Alternative zu den großen, zentralisierten sozialen Netzwerken. Bislang werden
die meist kleinen Server vor allem von Freiwilligen betrieben. Zur
Refinanzierung verlassen sie sich auf Spenden der Nutzer*innen. Vereinzelt gibt
es auch Server, die für die Nutzung eine feste Gebühr verlangen. Auch für
Client-Apps, über die ein komfortablerer Zugang auf das Angebot möglich ist,
zahlen einige Anwender*innen.

Doch trägt ein solches Modell sich auf Dauer? Der freiwillige Charakter der
Zahlungen ist charmant, ermöglicht er doch auch jenen, die nicht oder nur wenig
spenden können, Teilhabe am Netz und damit am Diskurs. Zugleich sind
Serverbetreiber*innen nicht darauf angewiesen, Beiträge als Inventar für die
Werbeausspielung zu nutzen. Milliardenkonzerne wie Alphabet oder Meta entstehen
so allerdings nicht. Und: Es fehlt der Anreiz, das Netzwerk wie eine virtuelle
Slotmachine zu betreiben. Es gibt keinen Anlass für die Serverbetreiber, ihr
Angebot so suchterzeugend wie möglich zu gestalten. Das ist eigentlich ein
Vorteil, macht Mastodon und Co. für viele aber weniger attraktiv.


UND BEI DER SUCHE?

Na ja, neben eher exotischen Open-Source-Lösungen wie der verteilten
Suchmaschine YaCy, gibt es mit kagi so etwas wie einen geistigen Nachfolger der
Bezahlsuchmaschine Neeva. kagi kostet zwischen 5 und 25 Dollar im Monat und
verspricht Suchergebnisse besser zu ranken als Google. Dazu setzt die
Suchmaschine in geringem Umfang auf einen eigenen Suchindex, greift aber vor
allem die APIs anderer Suchmaschinen und Angebote ab. Dabei bleibt aber das
Versprechen: Wir sind nicht von Werbung abhängig und können euch deshalb bessere
Suchergebnisse bieten und müssen euch dabei noch nicht einmal tracken.

Anders als bei auf Spendenbasis betriebenen Mastdon-Servern stellt das
Bezahlmodell hier aber eine handfeste Paywall dar. Werbefreiheit und womöglich
sogar bessere Suchergebnisse muss man sich also leisten können.

Wie bei hinter Paywalls verschwindenden Nachrichtenangeboten platzt der in den
90ern propagierte Traum vom frei verfügbaren Weltwissen für alle damit also auch
ein Stück weit.

Doch was wären andere Alternativen? Öffentlich-rechtliche oder gar staatliche
Angebote? Vielleicht. Angesichts der Angriffe gegen die öffentlich-rechtlichen
Medien in Deutschland wäre so etwas gegenwärtig aber wohl kaum realisierbar.

Autor davidVeröffentlicht am 30. September 2023Kategorien InternetSchlagwörter
Fediverse, Geld, Google, kagi, Mastodon, Neeva, offenes WebSchreibe einen
Kommentar zu Das offene Web und das Geld


LINKS 7. AUGUST 2023

+1,5 Grad bei der Erderhitzung

Die taz zeigt auf Ihrer Website seit einigen Jahren einen Countdown an, der
angibt, wie viel Zeit noch bleibt, den globalen CO2-Ausstoß so zu begrenzen,
dass die globale Erwärmung (wie im Abkommen von Paris vereinbart) auf 1,5° C.
begrenzt wird. Angesichts der ausbleibenden Emissionsreduktionen wurde die
Zielmarke dieses Countdowns jetzt von 2029 auf 2026 verschoben. Noch gute drei
Jahre verbleiben nach dieser Rechnung noch, um das Ruder in Richtung 1,5° C.
herumzureißen. Das muss man wohl als aussichtslos einstufen. Wie die taz aber
richtig anmerkt, muss ein Überschreiten der 1,5° C. nicht endgültig sein. Werden
die Emissionen danach allmählich genullt, könnte das Überschreiten ein
vorübergehendes Ereignis bleiben. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass mit
den 1,5° C. keine zusätzlichen Tipping-Points fallen, die weiteres CO2
freisetzen.

Googles Generalangriff auf das freie Internet

Google hat vor kurzem angekündigt, eine neues API in Chromium/Chrome zu
integrieren. Das Web Environment Integrity API (WEI) soll es Seitenbetreibern
vereinfacht ausgedrückt ermöglichen, sicherzustellen, dass die Seite mit einem
nicht manipulierten, unveränderten Webbrowser aufgerufen wird. Was zunächst nach
einer harmlosen Idee klingt, ist (so lässt sich argumentieren) ein weiterer
Sargnagel für das freie, offene Web, wie es zu Beginn der 90er-Jahre von Tim
Berners-Lee entwickelt wurde. DRM und Co. werden für große Anbieter so noch
leichter forcierbar. Eine weitere Sorge betrifft Browserweiterungen, die den
Schutz der Privtsphäre garantieren sollen – theoretisch könnte über die neue
Programmierschnittstelle verhindert werden, das Browser mit einer solchen
Erweiterung Zugriff auf bestimmte Seiten erhalten. Der verlinkte Artikel bei
Digitalcourage informiert genauer über die mit WEI einhergehenden Risiken.

Junk websites filled with AI-generated text are pulling in money from
programmatic ads

Große Teile des Internets sind werbefinanziert. Das gilt für Qualitätsmedien
genauso wie für trashige Contentmühlen. Mit dem Aufkommen von
machine-learning-basierten LLMs werden besagte Contentmühlen zunehmend
automatisiert befüllt. Wo vor zehn Jahren noch sinnentleerte Buzzfeed-Listicles
den klassischen Medien die Werbeeinnahmen abgruben, machen heute in wenigen
Minuten per „KI“ herbeifantasierte Websites den Contentmühlen die eyeballs
streitig. Dass damit Geld aus Werbenetzwerken wie Google Ads abfließt, kann
nicht im Sinne der Betreiber sein.

Autor davidVeröffentlicht am 7. August 2023Kategorien LinksSchlagwörter Google,
Klimakatastrophe, Klimawandel, Machine Learning, WEISchreibe einen Kommentar zu
Links 7. August 2023


LINKS 5. AUGUST 2023

Was wurde eigentlich aus Klein-Bloggersdorf

Rückblick auf die frühen Tage der deutschen „Blogosphäre“ der 2000er-Jahre.

OpenAI will crush Sarah Silverman

Überlegungen dazu, inwiefern Klagen wie die von Silverman/Golden/Kadrey gegen
OpenAI und Meta überhaupt Erfolgsaussichten haben. Folgt man der Argumentation
Evan Zimmermans, sieht es nicht gut aus. Das (US-)Urheberrecht erlaube die
Ableitung neuer Werke nun einmal.

Das Beispiel zeigt abermals, wie kompliziert die Lage rund um die aktuellen
Machine-Learning-Technologien und die daraus entwickelten sogenannten KI-Systeme
ist.

I’m Luddite you should be one too

Die Ursprünge des Luddismus fallen nicht unmittelbar mit dem Aufkommen der
ersten „automatischen“ Webstühle zusammen. Vielmehr war der Aufstand der
Ludditen ein Kampf gegen die Ausbeutung durch Fabrikbesitzer. Dass der Begriff
bis heute vor allem mit Technikfeindlichkeit gleichgesetzt wird, ist (so kann
man argumentieren) eine Folge der Propaganda ihrer Gegner.

Follow me

Erstaunlich, wie der niederländisch-japanische Comickünstler Gustave Verbeek
bereits 1904 das Schicksal von Twitter illustriert hat.

„He finds her staring in horror at the ground, where, flat on his back, lies the
poor little bird, the victim of some unknown hand.”
„And in his mouth the sign still says: ‘Follow me‘, but the bird has gone where
good birds go, and Lovekins and Muffaroo do not care to follow.“

Die Panels entstammen diesem als Ambigramm konzipierten Comic.

Autor davidVeröffentlicht am 5. August 2023Kategorien LinksSchlagwörter
Blogosphäre, Luddismus, OpenAI, Twitter, XSchreibe einen Kommentar zu Links 5.
August 2023


LINKS 30. JULI 2023

X to Close

Interessanter Artikel (von 2014) über die Herkunft des X-Symbols zum Schließen
von Fenstern in grafischen User-Interfaces.

Neeva Search Engine († 2023)

Ein kleiner Rückblick auf die im Frühjahr 2023 endgültig gescheiterte
Suchmaschinen-Alternative Neeva. Neeva hatte (anders als die meisten anderen
alternativen Suchmaschinen) einen eigenen Index und eine Google ebenbürtige wenn
nicht sogar überlegene Suchtechnik. Doch die Monetarisierung ist dem Dienst
nicht gelungen.

AI Dubbing

Googles YouTube testet momentan ein Feature, das es Videoproduzent*innen
ermöglicht, automatisch KI-generierte Synchronspuren zu ihren Videos produzieren
zu lassen.

Greg Rutkowski, Stable Diffusion

Insbesondere zwischen bildenden Künstler*innen und den Anbietern großer
Machine-Learning-Bildgeneratoren steht der Streit über die Rechte an den in den
Trainingsdaten genutzten Inhalten im Raum. Die Bilder des Künstlers Greg
Rutkowski wurden beispielsweise aus dem Stable-Diffusion-Trainingsdatensatz
entfernt. In Reaktion darauf wurde ein spezialisierteres Modell geschaffen, das
speziell darauf trainiert wurde, Rutkowskis Bilder zu imitieren. Der Fall zeigt,
wie schwierig die Einhegung solcher Open-Source-Machine-Learning-Modelle werden
wird: auch über den konkreten Aspekt der Urheberrechtsfrage hinaus.

On Successor States and Websites

Ein hübscher Vergleich zwischen dem Untergang des Römischen Reichs und dem
momentanen Zustand der Website Formerly Known as Twitter.

Autor davidVeröffentlicht am 30. Juli 2023Kategorien LinksSchlagwörter Greg
Rutkowski, KI, Machine Learning, Neeva, Römisches Reich, The Website Formerly
Known as Twitter, User InterfaceSchreibe einen Kommentar zu Links 30. Juli 2023


LINKS 22. JULI 2023

Das Cyberboomer-Manifest
Zusammengefasst: Wer den venturekapitalgetriebenen Plattformen des frühen 21.
Jahrhunderts, den fetten Wirtschaftswunderjahren des Social Webs nachjammert,
der ist ein Cyberboomer. Heiter.

Reddit exodus – Using Lemmy from my existing Mastodon
Mit activitypubbasierten Diskussionsforen wie Lemmy oder Kbin kann auch mittels
eines Mastodon-Accounts interagiert werden. Momentan ist das alles noch relativ
unkomfortabel, der Beitrag zeigt aber, wohin die Reise gehen könnte.

‘They’re Outsmarting Us’: Birds Build Nests From Anti-Bird Spikes [$ weiche
Paywall]
Elstern in Belgien und den Niederlanden nutzen die Vogelvergrämungsspieße, die
auf Vorsprüngen, Leuchtreklamen und Denkmälern angebracht sind, dazu, Nester zu
bauen.

Tarnished Brand
Russell Brand war vor einigen Jahren eine recht erfolgreiche britische
Medienpersönlichkeit. Im Laufe der letzten Jahre hat er sich, berichtet Sarah
Manavis für das Prospect Magazine, radikalisiert. In stundenlangen Streams auf
der bei Alt-Right-Anhänger*innen populären Videoplattform Rumble verbreitet er
krude Verschwörungstheorien und vereinnahmt damit enorme Beträge.

I lost my job to ChatGPT and was made obsolete [Axel Springer]

Emily Hanley berichtet, wie die Technologie der LLMs ihr Geschäftsmodell als
Freelance-Werbetexterin binnen weniger Monate eliminiert haben.

Autor davidVeröffentlicht am 22. Juli 2023Kategorien LinksSchlagwörter
ActivityPub, ChatGPT, Cyberboomer, Elstern, Kbin, KI, Lemmy, LLM, Machine
Learning, Mastodon, Russell BrandSchreibe einen Kommentar zu Links 22. Juli 2023


LINKS 19. JULI 2023

A comprehensive ecosystem of open-source software for big data management

Interessanter Artikel darüber, wie sich SEO-Contentmühlen in Windeseile auf neue
Keywords werfen. Der Ausblick darauf, wie das schon jetzt mithilfe von Large
Language Models automatisiert wird, lässt Böses für die Zukunft des Webs ahnen.

TikTok Extends the Wasteland – Television’s language and logic in everyday life.

Im Laufe der letzten 30 Jahre ist Reality TV zu einem der dominantesten und
wichtigsten Zweige der Fernsehunterhaltungsindustrie geworden. Nicht zuletzt
dadurch hat sich (insbesondere das us-amerikanische) Fernsehen zu einem „vast
wasteland“ entwickelt. Jeff Hewitt argumentiert für The Hedgehog Review, das
TikTok die logische Fortsetzung dieser medialen Einöde darstellt.

Writing as a Form of Thinking

Schreiben bedeutet zu denken. Gleich ob in Form kurzer Notizen oder beim
Verfassen längerer, strukturierter Texte: Das Schreiben zwingt dazu, lose
Gedankenenden zu verschnüren und so zu fixieren.



Autor davidVeröffentlicht am 19. Juli 2023Kategorien LinksSchlagwörter Medien,
Schreiben, SEO, WebSchreibe einen Kommentar zu Links 19. Juli 2023


WEB 2023

In letzter Zeit mehren sich die Stimmen, dass etwas im Web kaputtgegangen ist.



In der Tat hat das Netz sich im Laufe der letzten fünf bis zehn Jahre immer mehr
von dem entfernt, wofür es einmal stand. 1989 von Tim Berners-Lee am CERN
ersonnen, sollte das Web ursprünglich vor allem dazu dienen, wissenschaftliche
Arbeiten und Forschungsdaten so einfach wie möglich zur Verfügung zu stellen.
Die ab den frühen 90er-Jahren immer mehr entstehenden privaten und gewerblichen
Websites standen zunächst noch stark in dieser Tradition. Frei nach dem Motto e
pluribus unum definierte das Web sich von Anfang an vor allem in der Vernetzung
unterschiedlichster Text- und Mediendokumente. Ob Kernforschungsergebnis,
Kochrezept oder Kermit-der-Frosch-Fanpage, die unterschiedlichsten Seiten
verschmolzen im Web zu einem gemeinsamen, vermaschten Text. Nicht umsonst steht
das H in http:// bzw. https:// bis heute für Hypertext.

Auch der Erfolg von Google ab dem Ende der 90er-Jahre fußt vor allem auf der
tiefgreifenden inhaltlichen Vernetzung des Webs. Der ursprüngliche
Page-Rank-Algorithmus, der die Google-Ergebnisse so viel besser machte als die
aller anderen Suchmaschinen jener Zeit, wertete aus, wie häufig eine Seite
verlinkt wurde und gewichtete danach die Sortierung. (Ein leicht auszunutzender
Algorithmus, der seither in einem ewigwährenden Kampf zwischen
Suchmaschinenoptimierern auf der einen und Suchmaschinen auf der anderen Seite
optimiert und aufgerieben wird.)

Ab etwa Mitte der 2000er-Jahre kam das sogenannte Web 2.0 auf. Das Web wurde
interaktiver und auch Menschen, die kein ausgeprägtes Interesse daran hatten,
sich mit Websitebau und Serverkonfigurationen zu beschäftigen, konnten sich auf
leicht einzurichtenden Blogs ihr eigenes kleines Zuhause im Web schaffen. Auch
Social-Media-Dienste wie Twitter oder Facebook kamen zu jener Zeit auf und
entwickelten sich schnell zu Durchlauferhitzern für die Inhalte, die auf den
Websites klassischer Medien und in den Blogs veröffentlicht wurden. Auch die
Diskussion verlagerte sich mehr und mehr auf diese Plattformen.


ENSHITTIFICATION

Leider aber erwiesen diese venturekapitalfinanzierten Dienste sich als sehr
kostspielig im Betrieb. Die großen Social-Media-Dienste begannen also nach
Möglichkeiten zu suchen, den Betrieb zu finanzieren und ihren Investor:innen
ordentlich Rendite zu bieten. Die Plattformen mit ihren Millionen (im Fall von
Facebook gar Milliarden) von Nutzer:innen als Werbeflächen zu verwenden, schien
die einfachste Option zu sein.

Und damit setzte ein Prozess ein, den wir seit Januar 2023 als Enshittification
kennen:



Dieser Prozess trägt aber nicht nur dazu bei, dass Social-Media- und andere
Digitalplattformen mit der Zeit immer schlechter und unbenutzbarer werden. Er
sorgt auch dafür, dass die Dienste sich immer stärker vom offenen Web loslösen
und zu geschlossenen Silos werden (zusätzlich bestärkt worden ist das vom Trend
hin zur Smartphone-App als primärem Zugang zu den Angeboten).

Die Silobildung macht es Nutzer:innen gerade bei sozialen Netzwerken schwer,
sich von den Diensten zu lösen. Die quantifizierte Reichweite, die ihnen
Twitter, Facebook und Co. versprechen, existiert nur innerhalb des geschlossenen
Ökosystems. Ob diese Reichweite Facebook-Freund:innen sind oder
Twitter-Follower, spielt im Grunde keine Rolle.

Und Reichweite, egal ob aus finanziellen Gründen oder weil sie einfach nur dem
Ego schmeichelt, ist ein guter Grund, weiter Daten in die Silos zu kippen. Das
freie Web wird dadurch immer weniger sinnvoll nutzbar.

Suchergebnisse bei Google und anderen Suchmaschinen werden immer häufiger von
SEO-Spam von LinkedIn, Statista und anderen geschlossenen Datenhalden dominiert.
Wenige offene Seiten wie Reddit, StackOverflow und natürlich die Wikipedia
machen inzwischen den größten Teil der sinnvollen Suchergebnisse aus. Aber
braucht man Google tatsächlich noch, wenn es einen im Großteil der Fälle einfach
zu Wikipedia durchreicht?

Seit dem vergangenen Wochenende sind Twitter-Posts und -Profile (vorläufig?)
nicht mehr ohne Anmeldung zugänglich. Der Silo wurde geschlossen. Externe
Suchtreffer, die momentan noch auf Tweets verweisen, führen jetzt nur noch zu
einer Anmeldeseite. Wie schon zwei Wochen zuvor beim großen Reddit-Blackout
haben die Suchmaschinen damit auf einen Schlag eine der größten offenen
Datenquellen verloren.


WAS KOMMT JETZT?

Wie eingangs beschrieben hat die Qualität fast aller großen Internetservices in
den letzten Jahren massiv nachgelassen. Die aktuelle Krise am Werbemarkt und die
Entwicklungen im Bereich generativer Machine-Learning-Modelle werden diesen
Trend vermutlich weiter befeuern. Medieninhalte werden noch stärker als bislang
hinter Paywalls wandern und bislang werbefinanzierte Netzwerke werden sich wie
Twitter wohl weiter isolieren.

Doch dieser Kollaps kann auch die Grundlage für etwas Neues schaffen. Offene,
protokollbasierte Netze wie das auf ActivityPub basierende Fediverse sind
Beispiele dafür: Ein Netz aus Communitys und Einzelwebsites, das viele (aber
bislang noch nicht alle) Vorzüge einer zentralisierten Plattform hat.

Aber wird das tatsächlich passieren? Schließlich gab es entsprechende
Bestrebungen schon vor rund 15 Jahren. Mit Diensten wie identi.ca oder Diaspora
(die beide bis heute mehr oder weniger existieren) wurden schon damals offene
Alternativen zu Facebook und Twitter entwickelt. Doch der Blick zurück zeigt:
Durchgesetzt haben diese Dienste sich nie.

Doch damals waren Twitter, Facebook und Co. auch noch junge, coole Services und
das Web war noch nicht beschädigt. Es ist also denkbar, dass es diesmal anders
läuft.

Autor davidVeröffentlicht am 4. Juli 2023Kategorien InternetSchlagwörter
ActivityPub, Enshittification, Facebook, Fediverse, Internet, Meta
(Unternehmen), Social Media, Twitter, Web1 Kommentar zu Web 2023


LINKS 3. JULI 2023

TECH

 * Who Killed Google Reader? | The Verge
   Vor zehn Jahren wurde der Google Reader dichtgemacht. RSS- und Atom-Feeds
   haben seitdem zumindest im klassischen Web stark an Bedeutung verloren. (Vor
   allem in Podcatchern leben sie aber bis heute weiter.)
 * Atom Feed Format Was Born 20 Years Ago
   Atom, das als das bessere RSS entwickelt wurde, wiederum wurde dieser Tage 20
   Jahre alt.
   

MEDIEN

 * National Geographic lays off its last remaining staff writers | The
   Washington Post
   National Geographic entlässt auch die letzten festangestellten Autoren, um
   die laufenden Kosten weiter zu senken. Ab dem kommenden Jahr wird das
   gedruckte Heft zudem nicht mehr im Einzelverkauf angeboten.
 * Better Sharing for Generative AI | CreativeCommons.org
   Inwiefern Generative AI Models Urheberrechte verletzen, ist momentan ein viel
   diskutiertes Thema. CreativeCommons, die Organisation hinter der populären
   Copyless-Lizenz desselben Namens, bringt sich in der Diskussion vorsichtig in
   Stellung. Der bisherige Grundtenor: Machine-Learning-Systeme fertigen
   Collagen an.

Autor davidVeröffentlicht am 4. Juli 2023Kategorien Links


LINKS 28. JUNI 2023

INNENPOLITIK DEUTSCHLAND

 * AfD in Sonneberg
   Die sogenannte AfD hat am letzten Wochenende im südthüringischen Sonneberg
   eine sogenannte Landratswahl für sich entscheiden können. Der CDU-Vorsitzende
   Friedrich Merz hat das zum Anlass genommen, seine Partei hinter der
   sogenannten AfD in Reihe fallen zu lassen. Statt die Rechtsextremen klar als
   politischen Gegner zu benennen, glaubt Merz nun noch lauter in die Parolen
   der Springer/AfD-Allianz einstimmen und die Politik der Grünen angreifen zu
   müssen. Weshalb das ein Fehler ist, beschreibt Konstantin Nowotny in einem
   Mastodon-Thread.
   
   
   
   
   Auch diese Studie zeugt von der Problematik,

MEDIEN

 * Markenzeichen: Glattgeschliffen
   Logos von Onlinediensten werden immer serifenärmer. Schenkt man Adrian Kreye
   Glauben, ist das nicht nur eine Modeerscheinung, sondern auch dem
   Bedeutungsverfall vieler Marken in der digitalen Welt geschuldet.
   
   

LITERATUR

 * Anaïs Nin’s Decade-Long Adventure in Bicoastal Bigamy
   Interessanter Artikel über Anaïs Nin und ihre Zerrissenheit.

TECH

 * Let’s welcome Meta, not block them
   Sollte das Fediverse dem Facebook- und Instagram-Mutterkonzern Meta einen
   Korb geben?

Autor davidVeröffentlicht am 28. Juni 2023Kategorien Links


LINKS 22. JUNI 2023

KLIMA

 * Ellen Thomas, paleoclimatologist: ‘It’s not the Earth that needs to worry,
   it’s humans’ | El Pais
   Interview mit der Paläoklimatologin Ellen Thomas. Sehr schonungslose,
   pessimistische Perspektive auf die Klimakatastrophe.
   Die Quintessenz: Die aktuelle Katastrophe bewegt sich in ihrer Gravitas in
   einer Größenordnung zwischen dem Meteoriteneinschlag der vor 66 Millionen
   Jahren das Aussterben der Dinosaurier ausgelöst hat und einer Erhöhung der
   CO2-Konzentration in der Atmosphäre vor rund 56 Millionen Jahren. Doch vor
   allem das Tempo, mit dem wir als Menschheit den Treibhauseffekt momentan
   vorantreiben ist deutlich höher als es vor 56 Millionen Jahren der Fall war.

MEDIEN

 * Gerettet wird nur, wer im richtigen Boot sitzt | Spektrum
   Die unverhältnismäßige Gewichtung der Meldungen zum Thema „Tauchboot Titan“
   gegenüber Meldungen wie dieser steht sinnbildlich für die Haltung Europas zu
   per Boot aus Afrika flüchtenden Menschen.
 * Spotify’s podcast plan is going off the rails | The Verge
   Spotifys Ambitionen im Podcast-Bereich sind groß, der Erfolg trotz enormer
   Investitionen bislang nur durchwachsen.
   
   
 * Discord is opening the monetization floodgates: get ready for
   microtransaction stores and paid ‚exclusive memes‘ | pcgamer

Autor davidVeröffentlicht am 22. Juni 2023Kategorien Links


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