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Schadware  Pamphletassistenz  Geosublimierung


VIRUSLÄSTERN  11. APRIL 2022

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Es ist Tag 1, erster Tag nach Ground-Zero in dieser Wohnung. Und der Junge kann
nicht still sitzen. Geben Sie dem Kind ein Buch, setzen sie es vor den
Bildschirm zum Zocken – normalerweise: eine Woche später wiederkommen,
einsammeln, bissl dünner und leicht muffig, aber sonst alles gut.
Diesmal nicht, Zocken und Lesen verlangen Aufmerksamkeit, keine Chance. Aber
Schreiben geht, nech? Ja nun, über schlechte Dinge schreiben befreit. Schonmal
in letzter Zeit ein Blog zur Ausführung eines Frühlingsspaziergangs oder einer
Tiefenmassage gelesen? Ja ich auch, war irgendwann in den 2000ern.
Menschen schreiben, wenn etwas stört. Wenn wir zufrieden sind, haben wir
besseres zu tun – z.B. den Moment genießen. Schöne Einleitung, erstmal die
Leserschaft sortieren, damit nur die Fatalisten und Schwarzseher übrigbleiben.
Läuft.

Also gestern, da war…

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TAG 0 / MI – DER SUPERSPREADER IM HIPSTERBERG

Irgendwann nachts aufgewacht mit Halsschmerzen. Halsschmerzen können beim
vorliegenden Körper drei Ursachen haben:
 * a) zu heiß gefuttert
 * b) minderwertige Schokolade inhaliert
 * c) grippaler Infekt oder Erkältung.

Ehrlich gesagt, a) und b) waren verdammt naheliegend. Über die Jahrzehnte
gereift: wenn a) oder b) auftritt, kann es auch zu Fieber und Gelenkschmerzen
kommen. Vermutlich irgendwas mit Männerschnupfen aka psychosomatisches
intrakorporelles Mitleidssyndrom: wenn der Hals krank ist, sind die anderen
Teile des Körpers empathisch genug, das nachzufühlen.

Jetzt aber doof: am nächsten Tag ist Probe, am Wochenende eine Aufnahme im
Studio, Freitag eigentlich eh PCR-Test (Annehmlichkeiten als Sänger), aber da
muss man auch erstmal gesund hinkommen. Also Selbstschnelltest mit
Rachenabstrich und ab dafür: minimaler Strich beim ‚T‘. Ok Google, was bedeutet
ein minimaler Strich beim ‚T‘? Ah, kann vorkommen, das ist ja ausreichend
konkret. Nicht. Kein weiterer Schnelltest mehr im Haus, hmmm. Kurz das Gewissen
gefoltert: geh ich jetzt raus und stecke im Zweifel andere Leute an?

Naja, Kontrollfreak, ergib Dich Deinen Mustern – Gewissheit ist wichtiger als
Menschenleben. Also raus da, schnell zu DM ein paar Schnelltests – ah, sorry
gerade ausverkauft? Na dann zur Apotheke, die billigen für 4€ das Stück. Klar
gern gleich vier, hab da schlechte Erfahrungen mit nur einem. Das Testzentrum
nebenan auch noch gleich für eine Schleimhautrotation bemüht. Dann fühlt man
sich schon irgendwie besser. Ist wie mit Blutspenden, hinterher hagelt das
Serotonin einem die Menschenliebe ins Stammhirn. Gut, dann also noch einkaufen,
jetzt hab ich eh alles falsch gemacht, was man falsch machen kann.

Zurück zu Hause, Schnelltestergebnis der Nasenstreichler: negativ. Na denn,
vergoldeter Apothekentest liefert auch im Rachenabstrich (Würgegeräusche bitte
vorstellen): richtig, negativ. Dann halt schnell zur Infektsprechstunde meines
Hausarztes. Auf der Website Werbung für “Make peace not war!!!”. Voll dafür und
Ziel erreicht: ich fühl mich erstmal noch schlechter, dass ich mich um meine
niederen Belange kümmere. Ok, also nach Drogerie, Apotheke, Testzentrum und
Supermarkt nochmal potentiell positiv mit Öffis fahren und den Prenzlauer Berg
anstecken? Vier gewinnt, aber was kann ein ordentlicher Superspreader ohne
Menschenmassen schon anrichten? Also ab in’s Gewühl.

Vor Ort dann einen vorgedruckten Zettel in Empfang nehmen, worauf quasi steht,
dass Aspirin gegen Kopfschmerzen helfen. Aha, danke. Nein, PCR gibt’s nicht,
einfach quarantänieren. Ich hab so viele Fragen und: die Antworten stehen nicht
mal im Netz bzw. ist die Recherche etwa so sinnvoll wie Beipackzettel auf
Nebenwirkungen zu scannen. Also, woher weiß ich dann, ob ich jemals positiv war?
Der Test eine Woche später für einen Genesenenbescheid wär dann ja auch mir
überlassen. Soso. Naja, Pandemie ist ja auch zu Ende, was erwarte ich denn. Ok,
also Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – großartig, ich liebe Deutschland und
sein verhoben korrektes Bürokratismendeutsch, das genau niemandem hilft aber so
einlullend gemanaged klingt/schreit.

Na dann, Vier gewinnt, 5 verliert, machen wir sechs draus: ich beschließe nach
der Arbeit noch auf eigene Tasche einen PCR-Test zu machen. Ich brauch die
Gewissheit und will nicht nach halbgaren Alternativen googeln. Also Arbeit mit
langsam aber sicher eindeutigeren Symptomen absolviert. Thermometer zeigt 36,8
36,1 35,7. Hmm, inverses Fieber, ich schalte schonmal die Heizung eine Stufe
höher, könnte ja helfen.

Es wird Abend, der Superspreader in mir hat sich noch nicht genug an den
gentrifizierenden Monstern im Hipsterberg gerieben, also auf geht’s: runter zur
Eberswalder. Kleiner Hinweis: ich beliebe natürlich zu scherzen (der Rest ist
Ernst!). Alles wurde mit mit fest angezogener Maske (ok, Bart) und akrobatischen
Ausweichmanövern bei kuschelbedürftigen Mitwölfen absolviert – sicher ein
großartiger Anblick.

Das Testzentrum bietet PCR-quickies (3h zur Auswertung) für 199,90€ an, gut zu
wissen, dass es noch unter 200 bleibt. Für Leute ohne akuten Herzkasper gibt’s
das auch für schmale 99,90€ in 24h. Ich entscheide mich dann aber doch für die
durchstrukturierte Urlaubsplanervariante: 49,90€ bei 36h Rückmeldung.
Berechnung: die müssen das eh gesammelt ins Labor schicken und bei dem aktuellen
Andrang (geht gegen 0), langweilen die sich bestimmt und machen das im Gros
früher klar.
Jetzt aber ab nach Hause, der Kopf hat Wassermelonengröße und die Halsschmerzen
sind zu einem Whisky+Cigar-Kratzen mit entsprechend erotisch-sonorer Grundlage
mutiert. Den Rest des Tages tue ich Menschendinge.

TAG 1 / DO – IN MEINEM MÜLLEIMER IST IMMER SOMMER

Ah, es ist heute geworden, immer wieder eine Überraschung. Heute beschließe ich,
das hier aufzuschreiben. Wo waren wir? Ach ja. Um sechs von der Sonne geküsst
auf’s Smartphone geschielt: yup, Test ist durch. Aha, positiv, so sieht das also
aus, rote Farbe und ich muss doch nochmal den Ct-Wert googeln. Hmm, ziemlich
niedrig, das ist wohl was schlechtes, der innere Hypochonder hüpft befriedigt
gegen die Kopfinnenwände.

Na dann kann es ja jetzt konkreter werden. Konkret kann ich. Erstmal alles
absagen: Arbeit, Konzert/Aufnahme, Pläne für den Urlaub nächste Woche. Schön,
ich kann mich also Freitesten, 7 Tage nach Beginn, mindestens 2 Tage nach
Symptomende. Natürlich auf eigene Kappe, sonst bekomme ich nicht den schönen
Sticker im gelben Bonusheft und niemand wüsste je, dass ich Corona hatte.
Obwohl: ich könnte auch 28 Tage warten und mit meinem ersten positiven
PCR-Ergebnis eins bekommen – aber da ist halt noch Ostern vorbei und da muss ich
irgendwie aus Berlin raus, sonst war der Urlaub einfach nur ein einziges
Pamphlet für diesen Blog.

Also erstmal Arbeit sortieren, Termine absagen, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
(sic!) einscannen, an Arbeit schicken. Die Barmer-Website aufmachen zwecks
Hochladen des Wischs für die Krankenkasse – ah ja, lang nicht gesehen: ist das
noch Ihre Telefonnummer? Ja, ok, dann schicken wir Ihnen mal ne PIN per Post zu,
damit Sie den Mitgliederbereich betreten können. Say what? Zweiter Faktor my
ass? Ok, also Barmer-App installieren. Ah, willkommen bei der Barmer! Ach,
gleiche Nummer aber neues Gerät? Na, wir schicken Ihnen mal eine PIN per Post
zu, dann können Sie die App auch benutzen. Sonstige Kontaktmittel: ich kann
einen Brief schreiben, den vor meine Wohnungstür legen, jemanden bitten, den
einzusammeln (Hint: niemand versteht die Sprache des elektronischen Consierge).
Aha, naja, das hat ja vermutlich Zeit – hoffe ich mal.

Als Projektleider ist die Woche selbstflüsternd vorgeplant und es wurde
vorgekocht, also Mittag ist vorhanden. Traurig? Praktisch! Aber irgendwie brauch
ich grad Vitamine: dann doch schonmal auf Verdacht zwei Salate (Obst, Gemüse)
vorbereiten, bevor die Symptome so richtig loslegen. Salatblätter abwaschen,
Gurke halbieren, dünne Scheibchen … puh, erstmal hinsetzen? Naaaa, das schaffen
wir. Und wenn ich mit zusammengefalteter Lunge irgendwann tot neben der Gurke
aufgefunden werde: wie viel heroischer kann ein Tod bei Vollversorgung und
westlichem Luxus schon sein? Nach dem Obstsalat fühle ich mich wie frisch
gebackene 80, gerade die dritte Hüfte eingesetzt, Schrauben in den Knien,
künstliche Brustwarzen, Arthrose im Ohrläppchen.

Was mir noch auffällt: ich hätte gestern mal den Müll runterbringen sollen,
hmmm. Plastikmüll geschenkt, hab grad kein Fleisch/Fisch aus Plastik verkocht,
Schwein gehabt (oder gerade nicht … scnr.). Aber der Bio- und Restmüll. Wir
haben hier ja alle Fußbodenheizung, was natürlich ein Traum ist. Nur eben nicht,
wenn man darauf dann eine Küche setzt und die Abfallbehälter eben nicht im
Hängeschrank an der Wand hat. Resultat: der Müll wird in kälteren Monaten schön
von unten beheizt, was ihn zu einem wunderbar aktiven Kompost macht, voller
sprießender Säfte, Fermentierung und sonstigen Zersetzungsvorgängen, die in
meinen kleinen Abfallbehältern zu einem eigenen Klima führen (mit Wolken – und
Wolkenbruch(!) – beim Öffnen des Deckels) und olfaktorisch ganz weit vorne sind.
Soso, na dann. Mal schauen wer zuerst verliert, meine Nase, meine Freunde oder
die Rücksicht auf eine durchgehende Quarantäne.

Na dann setzen wir uns mal. Achja, Endorphine, da geht noch was. Erstmal
shoppen: ah Rollenspiel mit durchschnittlich 1640 Stunden Spielzeit. Ja, das
klingt für eine Woche Corona vernünftig realistisch: gekauft. Das neue Buch auf
dem Couchtisch? Nee, kann ich mich grad nicht konzentrieren, Zocken ist super.
Also Rechner an, Couch arretiert, Salate bereitgestellt, bloß nicht mehr
aufstehen. Dann Monitor an, Controller in die Patschehändchen und: … puh,
erstmal ein kleines Nickerchen.
Aufwachen, uh, Kopf, Pharmazeutika aus dem bunten Strauß an lustig knisternden
Plastikpackungen einwerfen, Controller an, Buch auf, ne besser doch nicht,
umfallen schlafen. Kann man schon ein paar Mal machen.
Aber irgendwann ist Sense, es fliegen Worte durch den Kopf, man findet eine
Entschuldigung, die eigenen völlig normativen Gedanken anderen Menschen als
interessant zu verkaufen ohne dabei Feuer auf die Charakterausprägung als
mitleidsheischender Lieblingsnarzist zu werfen. Aber dann auch egal, einfach
machen, runterschreiben, damit man ohne Worte im Kopf weiterschlafen kann.
Den Rest des Tages: bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen.

TAG 2 / FR – ARME RITTER IM MINIATURWUNDERLAND

Die Nacht hatte es in sich. Zum Glück lagen 2 Garnituren Bettdecke/Kissen
bereit. Ändert zwar nichts am Laken, das strategisch im Stundenwechsel auf der
rechten und linken Seite bewässert wurde. Quasi ganzheitliche Bettwirtschaft mit
regenerativer Brache. Nein, Wechseln des Lakens wäre rein energetisch keine
echte Option gewesen und mangels Matratzenschoner aus rutschfestem Kautschuk
(ohne Worte ;)) wäre das auch nur als würde man einen Schwamm auf ein Hochmoor
werfen. Die nächtliche Arbeit am regenerativen Schweißanbau führt dann auch zu
einer knackig kurzen Ruheperiode bis der Körper auf Suche nach einem besseren
Klima doch wieder das trockene Sofa aufsucht. Währenddessen im Schlafzimmer alle
Fenster aufreißen, kurzer Check auf die Wetterapp, ob heute Sonne rumkommt, um
die ganzen abgeweichten Proteine und Mineralien während des Trocknungsprozesses
in die Matratze zu backen und den Härtegrad dadurch vllt. zu erhöhen. Quasi arme
Ritter in groß. Bitte gern geschehen: Kopfkino – Fluch und Segen.

Der Tag hat erstaunlich wenig zu bieten: nach erfolgreicher Destabilisierung des
Schlafrhythmus über die letzten beiden Tage ist man auch geistig vollständig im
Nimbus des Zwielichts angekommen. Eine Stunde Zugfahrt durch’s
Miniaturwunderland in Hamburg mit Riesenmenschen, die Riesenmasken tragen?
Könnten 5 Minuten gewesen sein, ich hab sie wohl irgendwie körperlich
versehentlich doch vollständig gesehen. Großartig: der dreiköpfige Affe der
Projektierung ab 33:43 irgendwo in Knuffingen/Ösiland. Zwischendurch tagsüber
noch Downsizing einlegen, dann reicht es auch mit dem Miniaturfable.

Ansonsten sind wir im Zustand “Lesen der Werbemails im Posteingang” angekommen.
Bzw. auf diese eine Mail antworten, die da schon 3 Wochen liegt und die 2
Newsletter einer Person aus dem letzten Jahr, die den schreibt, weil niemand
mehr auf der Brückentechnologie Facebook ist, sie aber noch nicht auf die
Brückentechnologie Instagram setzt. Sag ich mal so.
Zwischendurch kurz im Hinterkopf, dass da mal was mit Sauerteig war. Nachdem der
Sauerteig durch Corona im Mainstream angekommen ist und man sich aufgrund der
sozialen Normierung nicht mehr schlecht fühlen muss, auf den Zug aufzuspringen,
habe ich inzwischen 2 Päckchen Sauerteig im Kühlschrank. Aber natürlich seit 8
Wochen und ohne Ahnung, wie lange sowas lebt. Vllt ist er ja schon tot – aber
wiederbelebbar? Beim aktuellen Klima im Schlafzimmer könnte ich ihn einfach mit
etwas Mehl anfüttern und da reinstellen. Im schlechtesten Fall wird über die
Atemluft der letzten Nacht ein neuer Hefepilz ansässig und lässt den
totgeglaubten auferstehen. Quasi Zombiesauerteig mit Corona-Infusion für das
Brot “danach”: stimuliert ihre T-Zellen, fördert aktiv eine Absenkung des
Ct-Wertes und lässt sich hervorragend mit Joghurt mit linksdrehenden Biokulturen
kombinieren.

Was uns zum nächsten Thema bringt: sinnlose Dinge aus dem Internet.
 * Warum drehen Küchenmaschinen (Mixer, Pürrierer, Teigknetmaschinen) eigentlich
   im Uhrzeigersinn (nach rechts)? Waschmaschinen und Betonmischer wechseln
   schließlich auch mal die Richtung.
 * Etwas abgelegt aber immer wieder erheiternd (für den geistig kapazitiven
   Mittelstand): der Mythos um das Katzenkryptonit: die Salatgurke.
 * Kanaldeckel-Testmaschine aus Frankreich? Check.
 * Montageanleitung für Stützräder für Erwachsene (bzw. deren Fahrräder)? Läuft.
 * Englands (Verzeitung: GBs) Ukulelenorchester? Stimmig.
 * 10. Kreis der Hölle? Foren in denen Leute danach fragen, wie man
   Zimmerpflanzen der Mitbewohner:in effektiv und schnell tötet.

Irgendwann mit fortschreitender Dunkelheit dann doch zurück zum frisch
geshoppten Computerspiel. Nicht zocken bis der Arzt kommt, aber mittendrin statt
nur dabei. Am Ende des Tages habe ich es trotz Nutzung eines Controllers und
altersbedingt rückschreitenden Reflexen noch nicht nötig gehabt, den
Schwierigkeitsgrad zu verringern. Ich klopfe mir geistig auf die Schultern und
beschließe die Nacht mit weiteren Unwägbarkeiten.

TAG 3 / SAMSTAG FRAMSTAG AKA SREITAG – FILZGLEITER ANYONE?

Heute sollte alles anders werden. Sagt der Plan. Putzen, für ein Projekt Noten
setzen, Schuhe nähen. Schuhe nähen bezieht sich auf ein Crowdfunding-Projekt für
nachhaltige Sneaker aus Eigenproduktion. Hört sich an wie der Hipster, der am
Wochenende seine eigenen Kartoffeln erntet und dafür noch extra Geld zahlt? Yup,
genauso: die Idee klingt super, aber man hat auch dieses ungewisse Gefühl, dass
sich jemand da ein goldenes Näschen verdient, indem die Kosten (bzw. die Marge)
bei gleichzeitiger Kürzung der Produktionskette gesteigert werden, und man am
Ende möglicherweise für die eigene Dummheit bzw. die fäustchenlachende
Unterhaltung des Anbieters bezahlt. Aber hey, Leuchtturmprojekte in Bayern und
so. Man möchte eben als Konsument ein Zeichen setzen, yadayadayada dingdong. Ach
nein Mist, war doch nur Individualitätsdrang als verdeckter Mantel von
Narzissmus, whatever.

Zum Glück muss ich darüber nicht weiter nachdenken, denn heute ist definitiv
nicht dieser Samstag. Vllt eher so ein Framstag oder Sreitag, irgendwas zwischen
Freitag und Samstag, aber zumindest nicht der Tag, der im Kalender steht und
eine körperliche Eignung für irgendwie geartete TODOs mitbringt.
Heute wird definitiv geputzt und zwar sauber, gründlich und mehrfach: aber eher
die Nase statt der Wohnung.
Heute werden auch keine Noten gesetzt, es wird aber definitiv Bedarf nach
bereits gesetzten und gespielten Noten zwecks Ablenkung geben.
Und heute werden auch keine Schuhe genäht, mit denen ich in den nächsten Tagen
eh nur in der eigenen Wohnung im Kreis laufen könnte.

Aber ganz ohne etwas aussichtsreiches Neues darf der Tag nicht beginnen. Ich
schiebe die Couch von der Leinwand zum Monitor. Veränderung ist so wichtig im
Leben.

Das Umstellen der Couch ist körperlich genau nur deswegen möglich, da die Couch
ohne Teppich direkt auf den Dielen steht, aber selbstverständlich mit
(Premium!-)Filzgleitern ausgestattet ist. Da zeigt sich wieder die langfristige
Lebensplanung. Auch, so wichtig. Und natürlich, Filzgleiter. Allein das Wort:
nicht nur Material in Funktion, nein. Eine sprachliche Verkostung, ein
bildhaftes Versprechen, ein rhetorisches Stillleben in Wandlung. Ich sinniere
kurz über die epische Trilogie des Filzgleiterimperiums, die jedes Mal nach
ihrer Realisation schreit, wenn dieser Begriff den Raum betritt. Danke Schotty!

Irgendwie ist heute Wetter. Die Sonne schiebt sich abwechselnd mit brennendem
Interesse durch gewitterlastige Wolkenballen, es folgt Kurzregen in dicken
Fäden, der sich im Hintergrund der Himmellandschaft unecht absetzt und gefühlt
lokal begrenzt nur bis zu nächsten Straßenecke ankitzelt. Ich öffne die Fenster,
lege mich unter einer Decke großflächig in das Licht und Schattenspiel, lausche
dem verwirrt entrüsteten Vogelgezwitscher und stelle mir vor, draußen zu sein.
Nicht notwendigerweise unter Menschen, sicher nicht, vielen Dank. Aber vllt. mit
etwas Natur im Rücken und Frühlingsfrische im Kopf. Naja, nächste Woche dann
wieder, wenn Gollum seine Höhle verlässt und zum Schicksalsberg
schnelltestberlin.de wandert.

Der Rest des Tages ist so aufregend und inspirierend wie die Idee einer Boutique
für Nacktschnecken sein muss. Beim gestoppten Computerspiel bin ich inzwischen
an dem Punkt angekommen, wo die spannende Einleitung durch ist, man ein Achtel
der verfügbaren Spielkarte entdeckt hat, das Gefühl hat angenehm overpowered zu
sein – um dann festzustellen, dass man das Ganze noch 7x so lang durchziehen
muss, man beim ersten Schritt in die weitere Welt über dieses erste Achtel
hinaus sofort stirbt und jetzt wieder mit Microfarming nach Erfahrungspunkten
zubringen muss. Ausdauer. Naja, sind ja noch ein paar Tage. Unverhohlen aber
vorsichtig flirte ich mit dem Schnittmuster für die Schuhe.

Der Kühlschrank ist inzwischen leer. Also, bis auf die üblichen Verdächtigen,
die da Stammgäste sind und ein Ei und ein Stück Butter. Ich überlege kurz, ob
ich den Kühlschrank abschalten sollte, wieviele Stammgäste dann wohl ausziehen
müssten (und vllt. sollten). Und was passiert, wenn man Butter und Eier in den
Tiefkühler legt. Kann man tiefgekühlte Eier schälen, panieren und analog zu
Eiswürfeln frittieren? Irgendwie ist die Idee, Eier mit Eipanade zu panieren ja
doch auf den zweiten Blick pervers. Andererseits ist das auch nur wie Fleisch in
Fleisch oder Weintrauben beim Weintrinken essen. Na, wir sehen schon, hier
passiert heute nicht mehr viel, dann verabschieden wir uns einmal mehr in eine
deckenumschlagene Nachtwache.



Ab Tag 4 gab ich jeglichen ziviliserten Vorwand eines niederschreibbaren Umgangs
mit Corona auf und rettete mich bis Tag 9 zum Freitest

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Schreibkram


SO LÄUFT DER HASE ...  16. NOVEMBER 2012

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Crosspost aus der Hasenpost

Einst lebten zwei Hasen, Knoppers und Theesen,
trotz stets feuchter Nasen, zwei liebliche Wesen,
nicht immer die hellsten, doch meistens die schnellsten
Hasen ihres Weltenwinkels.


Knoppi:
Sag mein Herz, wie steht es denn, um unsern Möhrenvorrat. Wenn,
es schlecht steht will ich schnell, zum Markte hoppeln und bestell,
zwei Schober Möhren und dazu ein paar Salate, was meinst Du?

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Thees:
Kind, wie soll ich es Dir sagen? Du weißt Salat schlägt auf den Magen,
daher bitt ich Dich gar sehr, lass die Salate weg. Dafür
bring einen dritten Schober heim, vom Möhrengold so frisch und rein.

 

So ging dann Knoppers auf zum Markt und prüft die Möhren auf die Art,
die nur das Hasenvolk versteht, und andere vor Fragen stellt
wie wohl ihr Lebensalltag wär, hätten sie Geduld dafür
und würden nicht Tag ein Tag aus verleben schlicht im Saus und Braus.

 

Der Rückweg ward nun arg beschwerlich, da doch das Möhrengrün so herrlich
duftet und zugleich die Last recht drückt im Hüftbereich.
Da dachte sich die Knoppers bald, wer so viel buckelt wird nicht alt.

 

Knoppi:
Ich sollte eine Pause machen mich strecken und die Siebensachen
noch einmal zählen und besehen ob mir beim Kaufe recht geschehen
und nicht ein schlechtes drunter fällt, das mir die anderen vergällt.

 

Sagte es, stellt ab und legt sich dann ein Stückchen ab vom Weg,
ins hohe Gras, wo auch alsbald, was einst der Warenprüfung galt,
in schlichtes Schlemmen übergeht, ganz ohne Maß und Eßgerät.

 

Nunmehr gebeutelt, wenn auch leichter, schnallt Knoppers auf und ziehet weiter.
Soll doch der Alte ihr nur klagen, vom Geld und anderer Haushaltsfragen,
sie ist ja wohl noch seine Frau und weiß als solches recht genau
dass er auch gern vom Kuchen nascht, den die Natur ihr mitgebracht.

 

Von Ferne schon kommt ihr entgegen, der liebe Herr Gemahl. Verlegen -
denn er sieht wie’s sich gestaltet, und dass der Vielfrass hier gewaltet,
statt dieser lieblich roten Schönen, der er ist einst im Trunk erlegen,
die nun die Hosen trägt im Hause und ihn vertreibt zur Hasenklause.

 

Thees:
Sag liebe Frau, Du kommst recht spät, hab mich geängstigt wie’s Dir geht.
Doch scheint es mir, Du bist gar selig, und es dämmert mir allmählig,
da doch Dein Pack recht leicht geschnürt, dass Völlerei Dich hat verführt,
und trägst ganz nach Weibessinnen, die Köstlichkeiten lieber innen.

 

Knoppi:
Das hast mein lieber Herr Gemahl, Du recht erkannt, zumal,
hab ich Dir etwas aufgehoben, das kannst Du nunmehr droben
in Deinem Kämmerlein verspeisen, solang Du bist zu leisem
Kauen fähig, denn ich werde nun, hierdrunt ein kleines Schläfchen tun.
Morgen sollst Du dann alsbald, statt mir zum Markte schlendern. Halt
Dich dabei nur recht streng am Wege, da ich Vertrauen in Dich lege,
dass spätestens zur Mittagszeit, manch Möhrengold steht hier bereit.

 

Thees:
Leider hast Du heut verdrückt, was einen Winter hätt’ genügt.
Igel und Dachs wolln nicht mehr borgen, wovon soll ich dann morgen
das nächste Futter zahlen, sieh! Machst uns zum Bettelhasenvieh!

 

Sprachs und ging zur Hasenklause, auf eine gut gehopfte Brause.
Am nächsten Tag wurd resümiert, das Hasengut verkauft, sortiert
und überführt vom schönen Wald ins karge Stadtgebiet. Sobald
dort angekommen wurde jetzt die Käfigsuche angesetzt.
Ein neues Heim zur Miete, klein, und ohne Extras musst’ es sein,
damit auch fürderhin das Frauchen konnt ihrem Bauchgefühle lauschen.

 

Und somit endet unsre Mär, ganz ohn Moral von ungefähr,
wollt nur ein Beispiel euch hier geben, vom scheinbar süßen Hasenleben,
und was draus werden kann, wenn man ne Frau wie Knoppers hat. Alsdann!

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Schreibkram


FRAGMENT EINES HEMMINGWAY....  16. NOVEMBER 2011

_...rausches. Nur die Konversation im Mittelteil wird dem gerecht und ist hier
aus dem Kontext gerissen aufgeführt.

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"Du bist schön, wenn Du noch halb verschlafen bist." "Nein, aufgequollen, aber
dagegen gibt es Mittel." Sie mustert ihn von der Seite. "Du bist müde und hast
Dich heute zu viel verausgabt. Ich werde Dir einen Martini holen." "Nein Schöne,
bring mir einen Absinth, der Martini würde mich nur noch träger machen." Sie
steht auf und geht mit leichtem Schritt zur Bar. "Eine Sünde, so schön und
nutzlos zu sein. Meine Sünde ...", denkt er und taucht sinnend in sein Buch
zurück. Das Geräusch des aufsetzenden Glases weckt ihn aus seinem Traum. "Ich
habe mir auch einen Absinth geben lassen. Ich möchte heute gefährlich sein." "Du
bist gefährlich. Gefährlich schön. Und nutzlos wie ich." "Nicht nutzlos, nur
sinnlos. Denk nicht daran, schau mich an und sieh zu, wie ich gefährlich werde."
"Aber das bist Du bereits." "Nicht gefährlich, nur gefährlich schön für Dich.
Der Unterschied macht die Gefahr aus. Hast Du Angst?" "Ich denke nicht. Aber
wissen werde ich es erst später. Möchtest Du gezähmt werden, wenn Du zu
gefährlich wirst?" "Zähmen kann man nur, was wild ist, Gefahr muss nicht wild
sein. Obwohl ich heute lieber eine wilde Gefahr sein möchte. Alles andere würde
den Augenblick verderben." "Es ist Dein Augenblick und alles liegt in Deiner
Macht." "Wenn es in meiner Macht läge, wäre es nicht schön und ich nicht
gefährlich, siehst Du das nicht?" "Doch, Du hast recht. Ich werde Dich genießen
wie ein voyeuristischer Meisterkoch ein unbekanntes Dessert in fremder Küche."
"Lass uns darauf trinken, statt die Zeit in Worten zu vergeuden. Der Absinth
wartet ungeduldig." Sie nimmt einen tiefen Schluck der milchig-grünen
Flüssigkeit. "Lass uns die Gläser tauschen." Er zögert lächelnd. "Dein Glas ist
jetzt gefährlich, Du klebst an ihm. Die Gefahr klebt daran." "Lass uns trotzdem
tauschen, ich möchte das Du auf den Geschmack kommst." Er tauscht die Gläser,
nippt sinnend an ihrem und schaut in die Ferne, das Glas zwischen beiden Händen
drehend. "Deiner ist stärker. Wo möchtest Du heute essen?" "Hmmm, lass uns doch
zum Strand in Sc..... fahren. Wo wir letzte Woche gebadet haben. Die Sonne geht
bald unter, wir werden einen Korb mitnehmen, essen, trinken und vielleicht
schwimmen gehen um den Tag abzuwaschen." "Was möchtest Du trinken? Lass uns
einen trockenen Weißen mitnehmen. Ein dunkles Brot, salzige Butter, Lachs und
Kaviar." "Du bist obszön. Ich freue mich darauf gefährlich zu werden und Du
redest von Fisch und Kaviar am Meer. Zum Sonnenuntergang. Mit Weißwein. Nein,
wir werden einen trockenen Roten trinken und uns etwas von der Soljanka abfüllen
lassen. Wir werden in die untergehende Sonne schwimmen und hinterher in warmen
Decken eingewickelt Rotwein und Soljanka genießen." "Du hast recht, ich war
grob." "Und gemein." "Nicht gemein, nur gedankenlos. Lass uns trotzdem zur
Soljanka ein gutes Brot mitnehmen. Brot ist sehr wichtig, wenn man am Meer
zusammen ißt. Es ist ein Zusammenspiel von geradezu mystischer Größe." "Du wirst
jetzt schon pathetisch, obwohl wir gerade einen romantischen Abend beginnen
wollen? Das ist unfair, Du bist mir voraus." "Das liegt am Absinth. Das kalte
Wasser wird mir gut tun, der Rotwein bringt uns wieder zusammen. Nimm noch einen
Martini, während ich die Sachen packe und in der Küche Bescheid gebe." "Bis
gleich. Sei nett zur Küche, ich glaube wir haben sie gestern etwas überfordert."
"Das musst Du mir nicht sagen, ich bin immer herzlich zur Küche. Ohne sie wäre
das Leben nur ein halbes. Ich würde bald anfangen Dir auf die Nerven zu gehen
und Du müsstest ständig Auswege suchen, um meinen Hunger nach Geschmack zu
befriedigen." "Du bist so selbstbezogen. Mir würde es ja wohl ähnlich, wenn
nicht schlimmer gehen. Wir würden anfangen uns gegenseitig aufzuessen, erst
vorsichtig und berechnend, später maßlos. Aber bevor es zu weit ginge, würden
die Leute es mitbekommen und wir würden wegen öffentlich praktiziertem
Kannibalismus verhaftet werden. Sie würden uns in eine Besserungsanstalt
stecken, getrennt nach Männern und Frauen. Die Küche wäre miserabel und wir
wären einsam und umgeben von Geschmacklosigkeit. Du bist grausam unbedacht mit
Deinen Visionen. Geh in die Küche, sag nichts. Ich werde noch einen Martini
trinken und dabei vergessen, was wir gesagt haben. Wenn alles fertig ist, komm
wieder und überrasch mich mit meiner romantischen Strandidee."

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Schreibkram


DE BERNIERES - DER ZUFÄLLIGE KRIEG DES DON EMMANUEL  25. NOVEMBER 2009

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Dieses Buch ist der erste Teil einer Trilogie und handelt von grausamen und
urkomischen Begebenheiten in einem diktatorisch regierten südamerikanischen
Land. Der Roman behandelt dabei so viele Einzelschicksale und erzählt so viele
Geschichten, dass es schwer ist auch nur ansatzweise eine Inhaltsangabe zu
liefern.

Mehr

Die Charaktere sind überdeutlich gezeichnet und sämtlich mit einem großen Schuß
Humor ausgeführt. Das ändert jedoch nichts an den grausigen Begebenheiten, die
in diesem Werk (von der Realität schweigen wir mal) von Statten gehen. Man ist
wörtlich hin und hergerissen, wenn man in einem Kapitel Tränen lacht, um im
nächsten bleich und mit erstarrter Fratze ein weiteres Massaker mitzuerleben. Um
niemanden mit einer solchen Aussage im Regen stehen zu lassen, sei hier die
offizielle Zusammenfassung des Buches abgedruckt: "Eigentlich ist es nur eine
Laune, als die hochmütige Dona Constanza anordnet, den Fluss, der einen kleinen
Ort in Lateinamerika mit Trinkwasser versort, umzuleiten, um einen Swimmingpool
mit Wasser zu füllen. Angeführt von Don Emmanuel widersetzen sich die
Dorfbewohner mit List und Tücke. Schließlich greift das Militär ein, un nur im
Schutz geheimnisvoller Karten gelingt es den Bewohnern, sich in den Dschungel zu
retten." Fazit: Hochgradig lesenswert - mit Suchtpotential :)

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Medien


GELDBÖRSENMASSAKER  16. NOVEMBER 2009

Es sollte ein ganz normales Weihnachten werden, das war beschlossene Sache.
Jedenfalls für Chausette. Chausette hatte gerade ihre liebste Geldbörse völlig
uneingenützig einem bedürftigen Mitwolf geschenkt und damit waren die Geschenke
jetzt jedenfalls kein Thema mehr. Gut, besagter Bedürftiger hat es sich nicht
nehmen lassen, zuvor ebenso uneigenützig Chausettes Fahrrad umzustoßen, um ihr
dann mit einer dankbaren Umarmung wieder aufzuhelfen, bei welcher sich das
Portemonnaie spontan aus Chausettes Rocktaschen verflüchtigte und sich ohne viel
Umstände in der Hosentasche des rücksichtsvoll Umarmenden wiederfand. Nun, die
Wege einer Brieftasche sind unergründlich und man sollte Fahrräder nicht allein
aufgrund der Tatsache verurteilen, dass sie nicht selbständig auf zwei Rädern
stehen können. Die Situation wirkte nur im Nachhinein betrachtet etwas
merkwürdig, da der Bedürftige nach dem Aufstellen von Weihnachtsmutter Chausette
ganz plötzlich sämtliche lauffähigen Körperteile zusammenraffte und sich im
Eiltempo Richtung Park trollte.

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An dieser Stelle ist es wohl angebracht, ein Wort zur Geschwindigkeit von
Trollen zu verlieren. Trolle sind grundsätzlich sehr gemütliche Zeitgenossen -
jedenfalls solang sie einen aufgeschlitzten Fisch mit herausquellenden Gedärmen
von sich haben. Sind Trolle jedoch einmal ohne Gedärme unterwegs und bewachen
nicht gerade eine strategisch uneinnehmbare Brücke, so sollte doch jegliches
Lebewesen mit mehr als einem Bein Vorsicht walten lassen. Die Tatsache, dass
Trolle nicht auch Flamingos mit eingezogenem Flugbein verzehren ist der
menschlichen Wissenschaft bis heute ein ungelöstes als auch dankbares Rätsel,
windet sich doch jeder Troll beim Anblick eines solchen gefiederten Einbeiners
alsbald mit grunzenden Lauten auf dem nächstgelegenen Boden und hält sich in
krampfhaften Zuckungen den Bauch, während das Gesicht, also die Schnauze, bzw.
das unförmige obige Körperende immer röter wird und der Troll mit der Pranke,
welcher er nicht zum Bauchhalten verwendet, rhythmisch auf den Boden schlägt.
Dieser Zustand lässt sich allgemein erst durch Entfernen des Flamingos aufheben.
Eben dieser Umstand ist es dann auch gewesen, welcher zu Zeiten der großen
Trollkriege die Menschen vor ihrer Vernichtung bewahrt hat, denn: Trolle können
wirklich schnell rennen, wenn es gerade keine herumliegenden Gedärme, zu
bewachende Brücken oder einbeinige Flamingos in ihrer Nähe gibt. Davon abgesehen
konnte noch nicht bewiesen werden, dass Trolle so etwas wie Humor haben und zum
Lachen fähig sind. Nunja, die menschliche Wissenschaft beschäftigt sich in ihrer
ganzen Perfektion doch manchmal recht unintuitiv mit mancher Problematik.
Nachdem besagter Mitwolf und neugebackender Brieftascheninhaber sich also gen
Park getrollt hatte, konnte sich Chausette nunmehr voll auf das Essen für ihre
Kinder konzentrieren, ohne weitere Gedanken an Geschenke verschwenden zu müssen.
Es sollte also ein recht normales und entspanntes Weihnachten werden. Nun,
normal natürlich nicht im Sinne von Clara, Chausettes jüngster Tochter. Für
Clara sollte dieses Weihnachten natürlich das schönste Weihnachten in der
Geschichte der Menschheit werden. Schließlich war Clara gerade 6 geworden und
wenn man ein sechs Jahre altes Mädchen mit roten Zöpfen ist, hat man durchaus
ein Anrecht auf das beste Weihnachten seit Menschengedenken. Für klein Clara
bestand ein außerordentliches Weihnachten grundlegend vorerst aus einer
unermeßlichen Anzahl von Geschenken und in diesem speziellen Fall aus dem Plan,
das Christkind auf frischer Tat zu ertappen. Die letzten Jahre hatte sie schon
vergeblich versucht, des Christkindes habhaft zu werden, aber es schien einfach
zu flink zu sein, weswegen Clara die letzten zwei Jahre fleißigst mit Wachsen
verbracht hatte. Clara hatte nämlich die Vorstellung, dass das Christkind
unglaublich große Beine besitzen müsse, wenn es sich innerhalb der zwei Sekunden
zwischen dem Läuten der Glocke und dem forschen Eindringen der
adrenalingepeinigten Kinderkörper in das Wohnzimmer so schnell verdrücken
konnte. Die Möglichkeit, dass das Christkind fliegen könne oder sich
irgendwelcher anderer unlauterer Tricks bediene, schloss Clara kategorisch aus.
Schließlich war Clara schon erwachsen, wußte wie die Welt funktionierte und
erwartete selbiges natürlich auch von allen grundanständigen geschenkbringenden
Christkindern. Und gerade aus diesem Grund war es Clara auch klar, dass Mutter
Chausette in den letzten Jahren immer nur wenig vom Christkind kredenzt bekommen
hatte, was sie als liebende Tochter recht empfindlich verletzte. Aus diesem
Grund hatte sie auch bereits fleißig das ganze Jahre Altpapier und Flaschen
gesammelt und gegen Bares eingetauscht. Davon abgesehen hatte sie den
streunenden Hund des Nachbarn einfangen lassen und gegen 3 kleine Kätzchen
getauscht, welche sie an zwei einsame ältere Damen in der Nachbarschaft gab,
wofür sie 3 Kartenspiele, 2 Messingleuchter und einen warmen Vorlegeteppich in
Empfang nahm, welche wiederum auf dem allsonntäglichen Flohmarkt in weiteres
Bargeld umgemünzt werden konnten. Obwohl sich Clara beinahe verraten hätte, als
ihr Nachbar bei ihrem Stand vorbeikam, um sich bei ihr zu erkundigen, ob sie
seinen Streuner heute schon irgendwo gesehen habe. Doch Clara wußte um die
Vorlieben des nicht immer leisen Nebenmieters, hatte in Musestunden im
mütterlichen Wirtschaftsblatt gestöbert, ahnte ganz intuitiv, wie sie sich zu
verhalten hatte und verkaufte ihrem neuen Kunden denn auch prompt den dicken
Vorlegeteppich für seinen vierbeinigen Liebling zu Weihnachten. Chausettes Sohn,
Eduard, etwas jünger noch als Clara, begnügte sich während der Streiftouren
seiner Schwester damit am Schreibtisch zu sitzen und zu malen. Eduard war seit
einem halben Jahr vier und trug gerade nicht - wie vom Arzt verordnet - die
große Hornbrille, welche in ihrer Stärke wohl dem rosenverzierten gläsernen
Aschenbecher seiner Mutter Konkurrenz gemacht haben könnten. Eduard liebte es
ohne seine Brille durch die Wohnung zu streifen und empfand es als höchsten
Genuß die Gegenstände der Wohnung mit Füßen, Kopf und Ellenbogen auf ihre
Stoßempfindlichkeit und Spitzwinkligkeit zu überprüfen. Momentan war Eduard
jedoch langweilig zumute und er hatte beschlossen aufgrund mangelnden Kapitals
ein Bild für Mutter als auch Schwester zu zeichnen, wobei er gelegentlich
minutenlang gedankenverloren aus dem Fenster schaute und den gerade aktuellen
Farbstift als Beißholz mißbrauchte. Eduard war innerlich eigentlich gar nicht
zum Malen geneigt, empfand dies jedoch als angenehme meditative Abwechslung zum
bisherigen Tagesverlauf. Er war heute zum wiederholten Male von seiner Schwester
gezwungen worden, das Kinderzimmer in kleine Bereiche abzutrennen, welche in
ihrer Gesamtheit die Wohnung einer gutbürgerlichen Familie darstellen sollten -
vorausgesetzt diese Familie hat nichts gegen fehlende Türen, Wände über welche
man hinwegsehen kann und todbringende Kuscheltierheerden auf sämtlichen
Einrichtungsgegenständen. Man könnte daraus schließen, dass Eduard frustiert
war, was jedoch nicht ganz der Wahrheit entsprach: Eduard war vier, hatte noch
keine genaue Vorstellung von Frustration, sondern kaute nur hingebungsvoll auf
seinem Farbstift herum, schaut aus dem Fenster und stellte sich den
gegenüberliegenden Park als flammendes Inferno vor, dessen lautes Prasseln und
Knacken nur gelegentlich von einem heiseren Todesschrei oder in Blut ersticktem
Gurgeln unterbrochen wurde. Auch Eduard hatte Pläne mit dem Christkind, jedoch
musste er sich auf wesentlich konkretere Maßnahmen als das einfach Wachsen
beschränken, da er in dieser Hinsicht wohl noch in den nächsten 2-3 Jahren
seiner Schwester unterlegen sein würde. Daher hatte sein kindliches Gemüt
bereits ausufernde Pläne geschmiedet, welche vorwiegend mit Fallstricken,
messerbespickten Gruben und Giftpfeilen zu tun hatten. Aufgrund der ungenügenden
Unterstützung seiner Vorhaben durch das Elternhaus sowie fehlender Materialien
begnügte er sich jedoch auch für die nächsten Stunden mit dem Malen für Mutter
und Schwester. Das Weihnachtsfest rückt näher und die vorfestliche
Stressanhäufung neigt sich ihrem Höhepunkt entgegen. Clara hat sämtliche
Geschenke beisammen und schwitzt und zittert nun ob der Wahl der richtigen
Schleifenfarbe für die Geschenkverpackung, Eduard überkommen Magenkrämpfe
aufgrund zu übermäßigem Stiftkonsums und Chausette steht in der Küche und flucht
ob der ungelückseligen Dorfgans, welche innerhalb der letzten Stunde wohl zu
tief ins Bratenrohr geschaut und sich einen mittelschweren Sonnenbrand zugezogen
hat. Doch obgleich des Chaoses in Küche, Kindermagen und Farbpalette waren doch
beide Kinder entsetzt festzustellen, dass die Wohnzimmertür noch immer
offenstand. So etwas hatte es noch nicht gegeben! Was nun, wenn das Christkind
zu früh kam und die Wohnzimmertür offen vorfand? Würde es sich langweiligerweise
einfach ergeben oder noch schlimmer, von außen die Gefahr wittern und gar nicht
erst in die traute Gemützlichkeit des kachelofenbeheizten Familienzentrums
Einzug halten? Schon erscheinen zwei gerötete Kindergesichter im Türrahmen der
Küchentür und versuchten möglichst kindlich fragend und mitleidig das
gansfokusierte, in den letzten tausend Jahren undokumentierte Verwünschungen
ausstoßende Mütterlein vorsichtig auf diesen unmöglichen Zustand hinzuweisen.
Doch Weihnachtsmutter Chausette begnügte sich damit nur schroff zu entgegnen,
dass das Christkind dieses Jahr freihabe und statt dessen der Weihnachstmann zu
Besuch käme. Er würde schon rechtzeitig an der Wohnungstür klingeln, sobald die
Zeit gekommen sei. Entsetzen. Ungläubigkeit. Der Weihnachstmann? Ein Mann soll
mit den Kindern Weihnachten feiern und die Geschenke bringen? Das ist zuviel des
Guten! Spontan zerplatzen Eduards Träume als eine imaginäre harte Männerhand
seine Fallstricke kappt, mit schweren Stiefeln und großen Schritten die
messerbespickten Gruben übersteigt und die Giftpfeile (eigentlich nur mit
Rattengift gespickte Zahnstocher) spöttisch aus dem Unterschenkel zieht, weil
die Schußvorrichtung zu niedrig angebracht ist. Clara windet sich in
Weinkrämpfen als sie feststellt, dass sie ein weiteres Jahr auf das Christkind
warten muss, welches ja bis dahin auch größer werden wird! Ausserdem sollen all
ihre schönen Geschenke in einen Sack mit denen der anderen Familienmitglieder
gesteckt werden. Da müssen dann ja noch Namensschilder ran! Farbige! Vom
Christkind hat sie bisher jedes Jahr ein süßes Kuscheltier bekommen, Tiger,
Katzen, Pantherbabys in himmelblau, wolkenrosa oder mintgrün. Dieses Jahr wird
es dann wohl ein graues Wildschwein oder eines dieser häßlichen braunen Kiwis
werden. Fahl und traurig sitzen die Kinder schließlich vor dem dampfenden
Ganskadaver, welcher trotz drittgradiger Verbrennungen recht stattlich auf dem
reichgedeckten Festmahlstische thront. Doch auch der mit Ananas gespickte
Rotkohl will dieses Jahr nicht so recht munden und die geschmeidigen Klösse
suchen heute vermehrt den Weg in Luft- statt Speiseröhre. Schließlich klingelt
es und alles erstarrt. Während die Kinder sich im Türrahmen verstecken und
vorsichtig um die Ecke lugen, öffnet Mutter Chausette nach erneutem Klopfen und
bedrohlichem HoHoHo die Tür und begrüßt etwas verduzt den Weihnachtsmann. Das es
ein Mann ist merken die Kinder sofort. Er ist groß, bewegt sich ungelenk auf
seinen dickwandigen Beinen. Die Hinterpranken mit wollenen Socken verpackt in
zwei gefütterte Stiefel versenkt, wankt er in die Wohnung, schaut glasig und mit
unbestimmtem Gesichtsausdruck in die erstarrten Kinderfratzen. Er beugt sich vor
und es wird klar, dass es nicht nur seine Stiefel sind, die etwas anrüchig in
der Luft liegen. Als er den Kindern seine Eröffnungsrede bar jeder Kunstform
zusammen mit zwischen 10 und 50 Gläsern Jack Daniels ins Gesicht schleudert,
können diese auch einen genauen Blick auf seinen Rauschebart werfen und wissen
nicht, was sie mehr faszinieren soll: Die gewundene Körperform dieses Lebewesens
irgendwo zwischen Backapfel und Bratbirne, welche sich vornübergebeugt nur mit
dem matschverklebten Sack als Gegengewicht noch aufrecht zu halten vermag und
dabei auf wankenden Beinen einen Stabilisierungstanz im Stille der russischen
Volksweisen aufs Parkett legt oder die übermächtige Präsenz eines weißen Meeres
aus Watte, welches leicht verfranst und getränkt mit unterschiedlich farbigen
Flüssigkeiten und bestückt mit kleinen Ausgaben unterschiedlicher Gansfüllungen
an ausgeleiherten Gummizügen haltend vom eigenen Gewicht heruntergezogen aus dem
Gesicht jenes Lebewesens auf sie herabschaut. Die Kinder handeln, abrupt und
gleichzeitig. In verschmitzten Kinderaugen spiegeln sich kleine, schnell
wachsende Flammen als der Bart unter Anleitung von Eduards Händen und der
Zuhilfenahme einer immer präsenten Schachtel Streichhölzer anfängt Feuer zu
schlagen. Doch das Feuer hat es schwer sich in die mittleren Gesichtsregionen
auszuweiten, schießt doch an eben jener Stelle ein weihnachtlich roter
Blutstrahl aus der männlich plattgedrückten Nase - genau da wo Clara eine ihrer
langen Haarnadeln mit einem wilden Aufschei in den lebenden Bratapfel versenkte.
Die russische Volksweise wandelt sich in einen schnellen Walzer als der
Weihnachtsmann sich gellend schreiend um die eigene Achse aus der Wohnung dreht,
dabei mit den ebenfalls am Rand wattierten und kurzeitig später aufleuchtenden
Handschuhen versucht, den Brand zu löschen, gegen die Tür des Nachbars prallt,
über die "Willkommen" Fußmatte stolpert und sich kopfüber mit Armen, gleich
Engelsschwingen ausgebreitet den Treppen darbietet. Hierzu muß gesagt werden,
dass es sich gerade um jene Treppen in Altbauten handelt, welche nicht mit
Teppich bedeckt sind und an deren Stufenrändern das Holz zum Schutz mit
scharfkantigen in der Struktur längstseitig gerillten Eisenbeschlägen verziert
ist. Ebenso sei dem Kenner eines solchen Treppenhauses unlängst das am Ende
jedes Zwischengeschoßes befindliche Fenster ins Gedächtnis gerufen. Eben dieses
Fenster bietet Kindern manigfalltige Kurzweil, wenn es darum geht im Sommer
Passanten des darunterbefindlichen Gehsteigs mit Mehl- oder Wasserbombem aus
Eigenproduktion zu erfreuen, ohne sogleich die für derartige Spiele
verantwortliche Mietpartei preizugeben. Nachdem unser momentaner Hauptakteur
gesichtsseitig an mehreren eisenbeschlagenen Stufen Anteil genommen und sich die
Haarnadel vollends in den Hirnkasten versenkt hat, verlangt die Schwerkraft
ihren Preis, die Beine fliegen hintüber, überholen den Oberkörper und es kommt
zu einer rollenden Bewegung des blutig feurigen Bündels gleich einem salto
mortale. Schließlich prallen Bein und Unterköper gegen die Wand des
Zwischengeschoßes und stoppen die Bewegung. Der Kopf durchschlägt das Fenster
und unser Weihnachstmann hält in Büßerstellung mit gesenktem Kopf einen Moment
inne, bis die restlichen Stücke des eingeschlagenen Fensters in der Fassung von
oben nachsacken und seinen Kopf fixieren. Er zittert noch kurz und beschließt
sein Leben, während die Flammen sich ungehindert auf sein eigentliches Haupthaar
ausbreiten. Zurück bleibt auf einer der unteren rot besprenkelten Stufen eine
Geldbörse, welche der von Weihnachtsmutter Chausette erstaunlich ähnlich sieht.
Erschreckend eindeutig ähnlich sogar. Eigentlich könnten es
Zwillingsportemonnaies sein. Nach allgemeinem Verständnis sind Portemonnaies ja
grundsätzlich vom Paarungstrieb ausgenommen, was sie auch zu recht zufriedenen
und ausgeglichenen Zeitgenossen macht. Man kann sich auf sie setzen, sie in die
dunkelste und stickigste Ecke einer Handtasche legen, sie ohne zu fragen mit
ästhetisch unanständigen oder höchst fragwürdigen Familienfotos ausstatten oder
sie nach jahrelangem Gebrauch einfach in eine Mülltonne werfen ohne sich
Gedanken um ihre mentale Verfassung machen zu müssen. Dessen ungeachtet liegen
jedoch auch Aufzeichnungen vor, nach welchen Portemonnaies unter sich, z.B. auf
Wühl- und Krabbeltischen einschlägiger Kaufhäuser, bisweilen zur scheinbaren
Vervielfältigung neigen, Protestaktionen unter ihren Mitportemonnaies anleiten
und allgemein zur Störung der öffentlichen Portemonnaieordung aufrufen. Wie auch
immer, da für unsere mode- und individualitätsbewußte Weihnachtsmutter keine
Massenware von Krabbeltischen in Frage kommt, muß eben diese Geldbörse wohl aus
anderen Gründen dem verloren geglaubten Kind so ähnlich sehen. Aber praktisch
wie Mutter Chausette ist, fragt sie nicht lange, woher das göttliche Manna fiel,
sondern steckt es sich in den Mund, respektive in die eigene Rocktasche zurück.
Clara und Eduard gehen diese Nacht befriedigt ob des darbietungsreichen Abends
in ihre Betten, in dem Wissen, einem unwürdigen Vertreter des Christkindes den
Garaus gemacht zu haben. Vielleicht bekommen sie dafür nächstes Jahr größere
Geschenke. Und wenn nicht, muß man eben nachhelfen und kann gleichzeitig einen
Blick hinter die Kulissen werfen: Wenn Weihnachtsmann und Christkind nicht mehr
sind - was kommt danach?

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