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* Video * Griechenlands Rolle * Die EU-Menschenrechtsagentur * Überwachung * Gefängnis im Gefängnis * Die Lager DAS NEUE MORIA EINE RECHERCHE VON KATY FALLON, ELISA PERRIGUEUR, FRANZISKA GRILLMEIER UND VERA DELEJA-HOTKO. Video von YouTube abspielen ▶︎ Nachdem das Aufnahmelager für Geflüchtete – Moria auf Lesbos – im September 2020 abgebrannt war, entschied die EU, dass sich etwas ändern müsse. Sie gab Griechenland 276 Millionen Euro, um auf den griechischen Inseln Chios, Kos, Leros, Lesbos und Samos neue Aufnahmelager zu bauen. Das Design sollte EU-Standards entsprechen. Das Projekt sollte, so hieß es weiter, durch die EU mit einer neu gegründeten Taskforce für Migrationsmanagement überwacht werden. Als erstes wurde Mitte September das Lager auf Samos eröffnet. Wie das in der Realität aussieht, zeigt diese Recherche. Seit Anfang dieses Jahres begleiten die vier Journalistinnen Katy Fallon, Elisa Perrigueur, Franziska Grillmeier und Vera Deleja-Hotko den Bau der neuen Lager für unter anderem das ZDF Magazin Royale, Ippen Investigativ und FragDenStaat. Die Strukturen dieser Lager entwickeln sich zunehmend zu Orten, zu denen Journalist:innen, Menschenrechtsbeobachter:innen und Anwält:innen nur mit Genehmigung und unter Begleitung von griechischen Behörden Zutritt erhalten. Die Recherche zeigt: Die EU finanziert nicht nur Lager, die Gefängnissen ähneln, sie macht diese auch zu einem Pilotprojekt für die Aufnahme von Asylsuchenden. Und das, obwohl selbst die EU-Menschenrechtsagentur (FRA) davor warnte, dass Stacheldrähte, Überwachung und Freiheitseinschränkungen Menschen, die Gewalt und Verfolgung erfahren haben, retraumatisieren kann. WAS WILL DIE EU VON GRIECHENLAND? Als die Türkei Ende Februar 2020 die Grenzen für Flüchtende öffnete, bezeichnete die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Griechenland bei einem Ortsbesuch als “Schutzschild” gegen Migration. Dieses “Schutzschild” werde die EU, so sagte von der Leyen, auch finanziell unterstützen. Asyl zu beantragen ist jedoch ein Menschenrecht. So deklariert Artikel 14 der UN-Menschenrechtskonvention: > “Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu > genießen.” Nicht umsonst gibt es die Genfer Flüchtlingskonvention, die regelt, dass Menschen, die Schutz suchen, nicht in ein Land zurückgedrängt werden dürfen, in denen ihnen Menschenrechtsverletzungen drohen. Sie feiert in diesem Jahr ihr 70-jähriges Jubiläum. > “Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine > Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein > Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, > seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner > politischen Überzeugung bedroht sein würde.” WER IST FÜR DEN BAU DER LAGER ZUSTÄNDIG? Die griechische Regierung ist für die Ausführung und die Planung aller Lager zuständig. Für die Konzeption hat die EU-Kommission eine eigene Taskforce für Migrationsmanagement eingerichtet, die die Einhaltung der “EU-Standards” kontrollieren soll. Gemeinsam mit Griechenland, mehreren EU-Agenturen (Frontex, EASO, FRA) und internationalen Organisationen (IOM, UNHCR) traf sich die Taskforce ab September 2020 monatlich um über den Plan zu sprechen. Wir haben Protokolle, E-Mails und Berichte über das Informationsfreiheitsgesetz erhalten und ausgewertet. Darunter ein Bericht der EU-Menschenrechtsagentur (FRA) von Februar 2021. Die Transparenz-Initiative FragDenStaat hatte die Dokumente über das Informationsfreiheitsgesetz angefragt. Dort könnt ihr alle Dokumente nachlesen und mehr zur Rolle Deutschlands erfahren: https://fragdenstaat.de/dasneuemoria/ WAS STEHT IN DEM BERICHT DER EU-MENSCHENRECHTSAGENTUR? > 1. “A centre intended for the first identification and registration of new > arrival should not look like a prison. To avoid as much as possible the risk > of re-traumatising effects for people who have experienced violence and > persecution, barbed wire and prison-like fencing should not be used and > ununiformed personnel deployed, where possible.” Die Realität im Lager auf Samos, das als erstes eröffnet wurde: Drei Meter hohe Maschendrahtzäune, darauf NATO-Stacheldraht mit Widerhaken, Wachtürme sowie uniformiertes Sicherheitspersonal das 24 Stunden am Tag inner- und außerhalb des Lagers patrouilliert. > 2. “The center and the services offered should be planned to allow asylum > applicants to move freely inside the camp and to come and go (if necessary > facilitated through public transport)” Die Realität: Das Lager kann mit einer Chipkarte in der Zeit von 08:00 bis 20:00 Uhr verlassen werden. Jedoch nicht immer. Menschen berichten uns, dass ihnen oft der Weg versperrt werde. Es gäbe zwar einen Bus, doch ist dieser im Vergleich zur monatlichen Unterstützungszahlung sehr kostspielig. Genau: 1,60 Euro pro Fahrt in die nächste Stadt. Die Menschen bekommen jedoch nur 75 Euro pro Monat. > 3. “The centre’s infrastructure and its services should be to the best > interests of the child and children’s rights. (...) Children should not be > exposed to prison-like fencing and should not witness violence.” Die Realität: Spitze Zacken auf dem Maschendraht, der auch um den Spielplatz gespannt ist. ES KOMMEN VERSCHIEDENSTE ÜBERWACHUNGSTECHNOLOGIEN ZUM EINSATZ. WELCHE GENAU? Kameras übertragen live in die Kommandozentrale der Lager, aber auch in einen dafür eigens eingerichteten Überwachungsraum im griechischen Migrationsministerium. Aus der Kommandozentrale lässt sich bis in die Betten der Menschen sehen Die Kameras sind teilweise mit künstlicher Intelligenz ausgestattet, die Bewegungen analysiert und Alarm schlägt, wenn sich Menschen beispielsweise in einer Gruppe versammeln. Ebenso werden Gesichter gescannt. Es gibt Wärmebildkameras und auch Drohnen kommen zum Einsatz. Das Überwachungssystem heißt “Centaur” und ist Teil der griechischen “Nationalen Migrationsstrategie 2020-21”. Es handelt sich dabei um ein “Sicherheitsmanagementsystem” zum “Schutz von Menschenleben und Eigentum” sowie für “Aufnahmestrukturen von Drittstaatsangehörigen”. Auch weitere Überwachungssysteme kommen zum Einsatz: Hyperion und RAE. Finanziert werden diese von der EU – genauer durch die “Recovery and Resilience Facility”, ein Fonds, der ursprünglich dafür gedacht war, die Wirtschaft von EU-Mitgliedstaaten nach der Corona-Pandemie auf nachhaltigem und digitalem Wege wieder anzukurbeln. Diese Recherche zeigt: Die Kosten von etwa 37 Millionen Euro für die Überwachungssysteme sind Teil des Antrages, den Griechenland gestellt hatte. Der Antrag wurde bereits genehmigt. Eine erste Anzahlung ist bereits überwiesen. Überwachungstechnologie in den Lagern: 112 KAMERAS FÜR DAS GELÄNDE 112 LAUTSPRECHER 19 RÖNTGENSCANNER 55 DREHKREUZE MIT CHIPKARTEN 20 KAMERAS MIT BEWEGUNGSANALYSE 94 KAMERAS FÜR EIN- UND AUSGÄNGE 7 DROHNEN Details der Überwachungstechnologie Equipment/Structures Closed Controlled Structures of Islands Northern Greece Southern Greece Total Perimeter Structure Protection Subsystem Cameras 112 185 176 473 Loudspeakers 112 185 176 473 Radioscopic-Magnetic X-RAY 19 16 23 58 Magnetic gates 55 20 44 119 Behavior analysis Cameras 20 31 27 78 Entry-Exit Cameras 94 160 174 428 Drones Τype Α 7 — — 7 Τype Β — 16 16 32 WAS MACHEN ÜBERWACHUNG UND STACHELDRAHT MIT DEN MENSCHEN? ”Die Eröffnung des neuen Lagers verändert die kollektive Identität der Geflüchteten, ihr Selbstwertgefühl und ihre Würde», sagt Eva Papaioannou, Psychologin bei Ärzte ohne Grenzen. “Europa bricht diese Menschen.” ES GIBT GEFÄNGNISSE IM GEFÄNGNIS, WORUM GEHT ES DABEI? Bei den sogenannten “Prokekas” handelt es sich um Abschiebegefängnisse. Sie befinden sich innerhalb der Lagerstrukturen. Von dort gibt es keine Möglichkeit, raus zu kommen. Menschen können dort 18 Monate eingesperrt werden, wenn sie einen negativen Asylbescheid erhalten haben und abgeschoben werden sollen. Das Anti-Folter-Komitee (CPT) des Europarats hatte die Zustände in den griechischen Prokekas in den letzten Jahren mehrmals kritisiert. Die Haftbedingungen würden unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichkommen. ÜBERSICHT ZU DEN LAGERN Neben dem Lager auf Samos sollen vier weitere entstehen. Ein Überblick über alle Lager: — Leros Soll im November 2021 eröffnet werden. Bisher gibt es dazu jedoch keine weiteren Informationen. Nach dem Brand in Moria befinden sich die meisten Menschen jetzt im Übergangslager Mavrovouni, bis das neue Lager fertiggestellt wird. Ein junger Mann aus Afghanistan erzählt von seiner Zeit dort folgendes: “Es hat sich nur der Name geändert. Heute sind nur die Mauern größer und unsere Bewegungen noch kleiner geworden.” Lesbos Geplanter Baubeginn: Dezember 2021 Geplante Fertigstellung: September 2022 Beides könnte sich verzögern, da Teile der Bevölkerung und der lokalen Regierung noch gegen das Lager stimmen. Der geplante Bauplatz befindet sich direkt neben einer Müllhalde. – Chios Geplanter Baubeginn: Dezember 2021 Geplante Fertigstellung: September 2022 Beides könnte sich verzögern, da Teile der Bevölkerung und der lokalen Regierung noch gegen das Lager stimmen. “Anstatt uns zu helfen, müssen wir immer nur auf ihren Willen hören”, erzählt Farid Wali*, der mit seiner Tochter als einer der Ersten in das Lager transferiert wurde. Eine Woche danach schreibt er, dass seine Tochter fragt, warum sie kontrolliert werde, wenn sie das Lager verlässt, um in die Schule zu gehen. “Das passiert doch sonst nur in Gefängnissen.” Bei Ippen Investigativ findet sich dazu ein Text: https://www.buzzfeed.de/politik/kameras-drohnen-ausgangssperre-gefluechtete-in-griechenland-hinter-stacheldraht-zr-91070021.html. Samos Wurde am 18. September 2021 eröffnet. 300 Menschen leben bereits dort. Besteht laut unseren Recherchen aktuell nur aus einem Abschiebegefängnis, einem Prokeka. Menschen, die ankommen, werden sofort darin inhaftiert. Der von der EU-finanzierte Teil des Lagers wird rund um dieses Abschiebegefängnis gebaut: “Es war sonst anders auf den Inseln. Die Lager waren für den Übergang. Jetzt bauen sie diese aus Beton und Stahl mit einem Zaun und sie asphaltieren Straßen dorthin. Das ist eine klare Nachricht an alle, die versuchen, nach Europa zu kommen: Wenn du kommst, dann wird das dein permanentes Zuhause sein”, erzählt ein Mann, dessen Frau im Abschiebelager auf Kos war und lange Zeit nicht raus durfte. Das berichtet eine Frau, die 18 Monate in dem Prokeka auf Kos war: “Mir ging es nicht gut. Jeden Morgen, wenn ich meine Augen wieder öffnete, sah ich, dass ich noch immer eingesperrt war. (...) Das Essen, dass sie uns brachten, hatte manchmal Schmutz und Würmer drinnen. Viele haben aufgehört zu essen. (...) Jeder, der eingesperrt ist, möchte einfach nur raus und das normale Leben sehen. Ich erinnere mich, als ich nach 18 Monaten das Lager verlassen habe, dass ich mich wunderte, wieder einen metallenen Löffel in der Hand zu halten. Und ich hatte irgendwie verlernt, wie man die Straße richtig überquert (...) Wenn sie meinen Antrag wieder ablehnen und ich dorthin zurück muss, dann bringe ich mich um.” Kos sollte im November 2021 eröffnet werden — Leros Soll im November 2021 eröffnet werden. Bisher gibt es dazu jedoch keine weiteren Informationen. Nach dem Brand in Moria befinden sich die meisten Menschen jetzt im Übergangslager Mavrovouni, bis das neue Lager fertiggestellt wird. Ein junger Mann aus Afghanistan erzählt von seiner Zeit dort folgendes: “Es hat sich nur der Name geändert. Heute sind nur die Mauern größer und unsere Bewegungen noch kleiner geworden.” Lesbos Geplanter Baubeginn: Dezember 2021 Geplante Fertigstellung: September 2022 Beides könnte sich verzögern, da Teile der Bevölkerung und der lokalen Regierung noch gegen das Lager stimmen. Der geplante Bauplatz befindet sich direkt neben einer Müllhalde. – Chios Geplanter Baubeginn: Dezember 2021 Geplante Fertigstellung: September 2022 Beides könnte sich verzögern, da Teile der Bevölkerung und der lokalen Regierung noch gegen das Lager stimmen. “Anstatt uns zu helfen, müssen wir immer nur auf ihren Willen hören”, erzählt Farid Wali*, der mit seiner Tochter als einer der Ersten in das Lager transferiert wurde. Eine Woche danach schreibt er, dass seine Tochter fragt, warum sie kontrolliert werde, wenn sie das Lager verlässt, um in die Schule zu gehen. “Das passiert doch sonst nur in Gefängnissen.” Bei Ippen Investigativ findet sich dazu ein Text: https://www.buzzfeed.de/politik/kameras-drohnen-ausgangssperre-gefluechtete-in-griechenland-hinter-stacheldraht-zr-91070021.html. Samos Wurde am 18. September 2021 eröffnet. 300 Menschen leben bereits dort. Besteht laut unseren Recherchen aktuell nur aus einem Abschiebegefängnis, einem Prokeka. Menschen, die ankommen, werden sofort darin inhaftiert. Der von der EU-finanzierte Teil des Lagers wird rund um dieses Abschiebegefängnis gebaut: “Es war sonst anders auf den Inseln. Die Lager waren für den Übergang. Jetzt bauen sie diese aus Beton und Stahl mit einem Zaun und sie asphaltieren Straßen dorthin. Das ist eine klare Nachricht an alle, die versuchen, nach Europa zu kommen: Wenn du kommst, dann wird das dein permanentes Zuhause sein”, erzählt ein Mann, dessen Frau im Abschiebelager auf Kos war und lange Zeit nicht raus durfte. Das berichtet eine Frau, die 18 Monate in dem Prokeka auf Kos war: “Mir ging es nicht gut. Jeden Morgen, wenn ich meine Augen wieder öffnete, sah ich, dass ich noch immer eingesperrt war. (...) Das Essen, dass sie uns brachten, hatte manchmal Schmutz und Würmer drinnen. Viele haben aufgehört zu essen. (...) Jeder, der eingesperrt ist, möchte einfach nur raus und das normale Leben sehen. Ich erinnere mich, als ich nach 18 Monaten das Lager verlassen habe, dass ich mich wunderte, wieder einen metallenen Löffel in der Hand zu halten. Und ich hatte irgendwie verlernt, wie man die Straße richtig überquert (...) Wenn sie meinen Antrag wieder ablehnen und ich dorthin zurück muss, dann bringe ich mich um.” Kos sollte im November 2021 eröffnet werden — Leros Soll im November 2021 eröffnet werden. Bisher gibt es dazu jedoch keine weiteren Informationen. Diese Recherche wurde unterstützt durch ein Stipendium des Journalismfund.eu sowie die Mitarbeit des Disinfaux Collectiv. Impressum | Datenschutz