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LIMIT OF CONTROL

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WIR SPIELEN DIALECT UND HABEN REPARATURZWANG

fzerozero on 10. April 2024

Mit befreundeten Leuten ein Spiel gespielt, bei dem man gemeinsam Sprache
entwickelt. Wir waren Roboter auf dem von Menschen verlassenen Planeten Erde und
haben dafür gesorgt, dass er nicht von Aliens übernommen wird und außerdem recht
hübsch bleibt, damit die Menschen irgendwann von ihrem Hausrecht Gebrauch machen
und zurückkehren können. Leichte Hausmeistertätigkeiten auf 450 EUR-Basis also.
Und dabei haben wir unsere eigene Sprache entwickelt, das war der Kern des
Spiels. Eine Sprache finden, sie mitzutragen und aktuell zu halten. Hat ganz gut
geklappt, ist eine schöne Sprache geworden. schraub schraub heißt Freundschaft,
cookie ist ein inspirierter Zustand, Rödelloop der daily grind und ein Drofjør
bringt sonntags um 10 Uhr die Leute spirituell zusammen.

Am Ende kamen dann doch noch Aliens vorbei, die hatten Bock auf unsere Energie.
Aber wir haben sie ausgetrickst und uns einfach mit ihnen angefreundet, eine
Religion gegründet und das weitere Leben im gemeinsamen Rave verbracht. Die Erde
gehört jetzt uns.

Was das Spiel zeigt: Zeiten ändern sich, Umstände auch, ist doch klar, dass
Sprache gar nicht anders kann, als sich zu wandeln. Sie passt sich den
Anforderungen an und bildet Realität ab. Alles andere wäre unpräzise und
ineffizient. Das ist bei Robotern so, das ist bei Menschen so.

Ben schreibt über den gemeinsamen Abend und erklärt das Spiel.


GESTRANDET

fzerozero on 12. September 2023

Wir sind hart mit dem Auto liegen geblieben und es war schlimmer als man sich
sowas vorstellt und besser als man sich sowas vorstellt. Schlimmer als gedacht
war, wie wirklich wenig Bock man auf ein Auto hat, das an der Kreuzung einfach
nicht mehr anspringt, nichtmal das Warnblinklicht. Schlimmer als gedacht war,
wie viele Kilometer zwischen kaputtem Auto und Zuhause liegen. Schlimmer als
gedacht war der Wochentag, nämlich Sonntag mit seinen beschränkten
infrastrukturellen Möglichkeiten, und das Wetter, nämlich heiß. Schlimmer war im
Vorfeld weder dem ADAC noch sonstigen Versicherungen regelmäßig Wetteinsätze für
Pannenfälle und andere Hilflosigkeiten überwiesen zu haben. Schlimmer war wie
wenig man mit einem Auto anfangen kann, das einfach komplett aufgegeben hat. Wie
lost man sich fühlt, wenn man merkt, dass man keine den Zustand überwindenden
Serviceleistungen erwerben kann, die zwar teuer wären, aber sofort verfügbar.
Wie kurz alles in einem unklar wird, wenn der ADAC-Mann sagt, das sei jetzt
schon echt der worst case und er kann nichts machen und das Auto bleibt jetzt in
dieser random Stadt bei Gießen stehen und wenn wir einige Zeit in die eine
Himmelsrichtung laufen, kommt irgendwann ein Bahnhof und von dort fährt
irgendwann eine Bahn zum nächst größeren Bahnhof und von dort hangelt man sich
dann über einen längeren Prozess irgendwie nach Hause. Und wenn wir aber gar
nicht vom Fleck kämen, würde er uns nach seinem Feierabend um Mitternacht auch
selbst noch kurz zum Zug bringen. Wie sich das Hirn kurz weigert, die Situation
als Realität anzunehmen und man es dabei beobachtet, wie es immer wieder vor
dieselbe Stelle derselben Wand rennt. Irgendwann zu merken, dass die beiden
Fenster vorn im Auto noch unten sind und nichtmal dieses kleine dafür zuständige
Knöpfchen funktioniert. Den ADAC noch ein Mal anrufen und ihn bitten, zu kommen
und die Überbrückungskabel anzuschließen. Zwei weitere Stunden Wartezeit bis ein
Fahrer frei ist.

Besser als gedacht war, an einem heißen Sonntag auf den einzigen schattigen vier
Quadratmetern weit und breit liegen zu bleiben, neben einer McDonald’s-Filiale.
Satt auch. Besser als gedacht war, keine kleinen Kinder dabei zu haben, sondern
große, die Kausalketten verstehen und Bedürfnisse regulieren können. Besser war,
eine gerade noch akzeptable Anzahl an Kilometern entfernt vom Abfahrtsort zu
sein und dort ein privates Ersatzauto abholen zu können. Glück zu haben, ein
Taxi dorthin bezahlen zu können, nicht die dreistündige Fahrt mit den
verschiedene Öffentlichen machen zu müssen. Noch mehr Glück, dass das letzte
Taxi des Tages gerade noch zu haben war. Glück, dass der ADAC-Mann unser Auto
neben eine Werkstatt geschoben hat. Glück, dass es offensichtlich ein Ding ist,
kaputte Karren jederzeit vor Werkstätten abzustellen und den Schlüssel dort in
den Briefkasten zu werfen. Einfach eine Uploadfunktion am Straßenrand für
reparaturbedürftige Gegenstände.
Zu merken, dass es schrittweise immer weiter geht. Sidequest: Wir brauchen einen
Stift, um der Werkstatt Infos und unsere Telefonnummer aufzuschreiben. Die
Achtjährige hat nur einen vertrockneten Filzstift dabei, die komplette
McDonalds‘s-Filiale ist digitalisiert. Aber eine Person leiht uns einen roten
Kulli. Wie sehr kann man sich für etwas bedanken. Mission accomplished.
Eine ruhige Ecke finden mit Steckdosen an der Wand. Mein Handy lädt, die
Achtjährige spielt, die Vierzehnjährige hat einen Livestream zu ihren
Freundinnen, wir essen McFlurry und trinken Wasser und gehen aufs Klo und warten
auf Monsieur LeGimpsi mit dem privaten Ersatzauto und den ADAC-Mann, damit
unsere Fensterscheiben hochgefahren werden. Den Kindern anbieten, dass sie sich
andere Eltern mit heilen Autos aussuchen dürfen hier bei McDonald‘s, aber die
winken ab und meinen aktuell kein Bedarf, vielleicht später. Die Kinder beginnen
Verhandlungsversuche, ob am nächsten Tag Schule unbedingt nötig sei. Sie machen
sich Sorgen um ihr anstehendes Schlafdefizit und unterstreichen die
Fahrlässigkeit und Sinnlosigkeit bei akuter Übermüdung am Unterricht
teilzunehmen. Diese Ansätze mit Verweis auf Irrelevanz sofort ins Leere laufen
lassen, nice try, little suckers. Die Erleichterung irgendwann im anderen Auto
zu sitzen, das Gepäck quetschen wir rein, die Kinder auf die Rückbank, los
gehts. Langsam wird es dunkel draußen. Die Fahrt ist lang, wir biegen falsch ab,
die Fahrt wird länger. Aber wir kommen an und schlafen in unseren Betten und
dann ist alles wieder wie immer. Das Gefühl, wenn man etwas hinter sich gelassen
hat.


BADMINTON

fzerozero on 12. August 2023

Das Beste ist, wie der Körper sich an alte Abläufe erinnert.
Die Beine machen ihre Arbeit, der Schläger trifft, wo er soll, die linke Hand
hält warum auch immer die Spannung.

Samstags spiele ich wieder Badminton. So wie früher, so wie in den Neunzigern,
meine allererste Sportart. Und der Körper zieht nach dreißig Jahren eine
Schublade auf, holt die alte Diskette raus, pustet einmal drüber und installiert
800 Stunden Training ins laufende System. Was natürlich nicht rund läuft, weil
aus einem elfjährigen Körper ein neununddreißigjähriger Körper geworden ist und
außerdem einige spätere Disketten so ziemlich viel überschrieben haben. Hat
auch, glaub ich, öfter mal ins Laufwerk reingeregnet. Erst war Badminton, dann
kam Tennis und hat meine Technik irgendwie komisch verschnörkelt und dann kam
Volleyball und zieht mich dicht ans Netz. Aber Tennis hat mir auch Genauigkeit
für den Treffpunkt des Balls gegeben und Volleyball das Gefühl für den Raum,
wenn man sich das Spielfeld mit anderen teilt.

Immer samstags merke ich, ich habe mal etwas gründlich gelernt und gut gekonnt
und auch wenn ich es eine Ewigkeit nicht angeschaut habe, es ist noch in mir und
wenn ich will, kann ich mit ihm spielen. Es ist ein ganz verrücktes,
interessantes Gefühl. Es ist, als hätte ich eine alte Spardose mit meinem
Taschengeld gefunden und es gehört auf magische Weise noch mir und die Frau in
der Bäckerei nimmt tatsächlich auch D-Mark und gibt mir zuckerhaltige
Konsumgüter dafür. Es ist völlig nutzlos und macht so viel Spaß. Ich bin froh,
dass ich viele vorpubertäre Montage und Freitage damit verbracht habe, hinter
Federbällen her zu rennen und sie möglichst effizient mit einem Schläger zu
treffen.

Ich kann immer noch den Ball mit dem Schläger vom Boden aufheben und das ist das
beste Gefühl. Auch das beste Gefühl ist Techniktraining. Wenn wir immer wieder
dieselben Schläge üben. Wenn man fünfzigmal einen kurzen Ball hinterm Netz mit
der Rückhand lang nach hinten schlägt. Wie sich nach den ersten Bällen direkt
ein Rhythmus einstellt und man einfach nur ein Körper ist, der immer dieselben
Bewegungsabläufe wiederholt. Drei seitliche Schritte nach vorn, Ausfallschritt,
mit dem Handgelenk zugreifen, nach oben ziehen, ich setze immer zu viel Arm ein,
den Ball hoch und weit rausschlagen, drei seitliche Schritte zurück in die Mitte
und direkt wieder zurück ans Netz. Wie der Kopf ganz leer wird und man nur noch
atmet und läuft und schlägt. Wie schön Badmintonbälle fliegen, wenn man sie
trifft. Wie schön eine Halle mit acht Feldern klingt, wenn alle dasselbe üben.
Das beste Gefühl ist, einen Trainer zu haben, der Ansagen macht und korrigiert
und regelt, wer mit wem spielt, wann gewechselt wird, wann getrunken, was
trainiert, wer gegen wen. Der einfach alles vorgibt in einer klaren, zugewandten
Art. Jetzt Drops machen, jetzt dreimal lang, zweimal kurz, jetzt die Bälle
ausspielen, jetzt Taktiktraining. Ich gehe samstags dahin und mache das nur für
mich. Ich bin nicht Teil einer Mannschaft, muss nicht gut fürs Team spielen,
niemand erwartet irgendwas, meine Fehler interessieren keinen. Das beste ist,
mit immer jemand anderem Doppel oder Mixed zu spielen. Immer wieder mit einer
neuen Person rauszufinden, wie man sich organisiert, immer wieder neu zu gucken,
wie gut die Raumverteilung klappt. Manche sind ganz lange dabei, manche noch
ganz neu. Eine beißt immer zwischendurch in ihr Brötchen, neben dem Brötchen
liegen Karotten und Äpfel, eine ganze Brotdose voll, so eine Art von Training
ist das. Da sind Leute, die wollen einfach ein bisschen spielen und wenn man
dabei auch mal gewinnt, ist das recht erfreulich, aber nicht entscheidend. Was
auch stimmt: Wer am Samstagvormittag in der Halle steht, hat Bock.

Eigentlich spiele ich vor allem gegen mich. Gegen meine Erinnerung, wie es
früher einmal war. Wie viel Kondition ich mal hatte, wie schnell meine Reaktion
war und wie hart die Schmetterbälle. Wie die Schulter noch nicht weh tat und ich
noch besser sehen konnte. Selbst wenn ich mich jetzt richtig reinhängen würde,
käme ich da nicht mehr hin. Aber das ist ok, Akzeptanz wird mittrainiert.
Das beste Gefühl ist, meinen alten Schläger von damals, meinen blauen Schläger
aus einem Guss, mit der Bespannung von damals, die ich nach jedem Ballwechsel
zurechtziehen muss, in der Hand zu halten und die Person von jetzt zu sein.




IM MAGIC LOOP

fzerozero on 31. Dezember 2022

Guter Urlaubszustand im Kopf, ich habe wie immer in dieser Zeit die Kontrolle
über die verinnerlichte Dauer von wiederkehrenden Intervallen, zum Beispiel
Tagen, verloren. Alles eine Suppe gerade. Anfang der Woche haben wir den Keller
ausgemistet und einen kleinen Haufen Sperrmüll identifiziert. Weil wir so gut im
Anpackenmodus waren, haben wir uns direkt gekümmert, dass er mit bürokratischem
Aufwand abgeholt wird.

Die Stadtverwaltungsfrau: Der nächste freie Termin wäre am dritten Januar.
Mein Gehirn: Oh super, das ist ja direkt morgen!
Ich: Oh super, das ist ja direkt morgen!
Die Stadtverwaltungsfrau: Der dritte Januar ist nächste Woche Dienstag.
Ich: Oh shit, Silvester war ja noch gar nicht.
Die Stadtverwaltungsfrau: Jep.

Im Moment stricke ich viel und zum ersten Mal sind es keine rechteckigen Gewebe
aus rechten Maschen, die man auch Decken für winzige Menschen nennen könnte,
sondern dreidimensionale Hohlkörper aus rechten Maschen, die man Socken oder
Pulswärmer nennen könnte. Dazu schaue ich fachliterarische Videos aus der
Knitting-Branche. Und dann habe ich plötzlich meine Haare geschnitten. Ich mach
das seit ein paar Jahren immer selbst, mein Opa hat vor dem Zweiten Weltkrieg
für ungefähr einen halben Tag als Friseur für Frauen- und Männerköpfe gearbeitet
und so schwer kann das ja wohl nicht sein. Normalerweise geht es ganz gut, wenn
ich Haarpartien waagerecht vom Kopf weghalte und denn absäbele. So entstehen
unter Nutzung von Geometrie dann leichte Stufen. Am Ende mache ich einen Zopf
und schnippele noch ein wenig in die Spitzen rein, das sorgt dann dafür, dass
alles gleichmäßig schief aussieht. Das klappt hinlänglich erfolgreich, wenn man
ungefähr vier Zentimeter kürzen möchte. Ich aber wollte einen völlig neuen Look.
Und so hab ich dann einfach drauf losgeschnitten mit meiner alten Küchenschere
und schon bei der ersten Strähne vorn links dachte ich: Oh shit, oh fuck, fuck
me. Ist immer auch schön zu merken, wie Selbstwirksamkeit reinkickt, auch mal
anders als erhofft. Aber ich habs durchgezogen und was soll ich sagen? Es ist
absolut dilettantisch geworden und wie schwierig ist es, am eigenen Hinterkopf
irgendwas planvolles zu veranstalten, aber unterm Strich regeln meine ein
bisschen lockigen Haare das jetzt. Und außerdem kommts eh immer nur auf die
innere Haltung zu den Dingen an. Man kann sich mit viel mehr durchs Leben
bullshitten als man so denkt.

Es gibt nun ein Schlagzeug in dieser Wohnung. Das große Kind hat es ins Zimmer
gequetscht und trommelt seither eigentlich ununterbrochen Linkin Park, was
interessant klingt, weil sich klangmäßig alles in Kopfhörern abspielt, bei uns
kommt nur die ganze Energie und Dramatik an, mit der rumgekloppt wird. Damit es
reinpasst, haben wir ein paar Möbel gestapelt. Das Zimmer besteht nun eigentlich
nur noch aus gedrungenen Gruppierungen von essenziell notwendigen
Einrichtungsgegenständen, Duftkerzen (es ist eine Phase) und einem
raumfordernden Musikinstrument.

Das kleine Kind kann nun schwimmen, somit habe ich alle elterlichen Pflichten
erfüllt und verabschiede mich nun langsam in die Phase, in der man nur noch auf
Enkelkinder wartet.
Wir haben einen Schwimmkurs gemacht und nachdem es eine Zeit lang ein wenig
stagnierte und die Hemmschwelle überwunden werden musste, das Schwimmbrett
abzugeben und Arm- und Beinbewegungen zu synchronisieren, hat es dann innerhalb
von zwanzig Minuten plötzlich sehr beeindruckend so gut geklappt, dass auch der
Korkengurt immer weiter auseinandergebaut und dann nicht mehr gebraucht wurde
und sie einfach schwimmen konnte. Und wie eine kleine Berserkerin mit maximalem
Körperseinsatz vom Rand, vom Startblock, vom Ein-Meter-Brett und vom
Drei-Meter-Turm ins Wasser flog. Ich bin so froh, bei dieser Entwicklung
dabeigewesen zu sein und freue mich schon, ihr diese Geschichte über Durchhalten
und sich Unbekanntem aussetzen und den dahinterliegenden winkenden Spaß im Blick
haben in den verschiedenen frustrierenden Phasen ihres Lebens erzählen zu
können.
Gestern war ich mit ihr im Schwimmbad und nachdem wir ein wenig geschwommen
waren, hat sie eine kleine Wasserbekanntschaft mit einem anderen Kind gemacht
und ich hab mich auf die Wärmebank verkrümelt und die beiden in Ruhe ihre
Unterwasserabenteuer durchspielen lassen. Da saß ich dann und es war warm und
akustisch diffus und gedämpft und es roch nach Chlor und um mich herum sich
bewegende Wasseroberflächen und ich trocknete vor mich hin und hatte nichts
dabei, in das ich meinen Blick senken könnte, alles im Spind. Und so saß ich
dann und verfiel in einen meditativen Zustand der temporären Mittellosigkeit und
schaute einfach nur den Kindern zu und war frei von Gedanken.






WORK, WORK, WORK

fzerozero on 22. Dezember 2022

Morgen ist der 23. Dezember and I’m still working. Das gabs noch nie,
normalerweise ist bei mir Mitte Dezember Schluss und ich fall in einen
vorweihnachtlichen Modus der maximalen Passivität, der nur noch zulässt, in eine
Decke gewickelt an die tausend Stücke dünner Presspappe so lange
ineinanderzustecken, bis es einigermaßen passt und hübsch aussieht und dabei
abmoderierende Grunzlaute von mir zu geben, wenn sich jemand nähert oder mich
anspricht. Aber dieses Jahr nicht, oh no, dieses Jahr wird durchgearbeitet bis
Mariah Careys Lieblingstag anbricht und außerdem Samstag ist. Was erstaunlich
okay ist? Was mich daran denken lässt, dass eine Lektorin beim früheren
Arbeitsplatz immer wollte, dass wir im Heft okay mit o.k. abkürzen, was
schrecklich aussieht. Und was ich nie gemacht habe.
Jedenfalls habe ich in den letzten Monaten viel gearbeitet und viel über mich
gelernt und viel übers Arbeiten gelernt. Ich habe mit dem neuen Job eine Arbeit
erwischt, die aus einer Aneinanderreihung und Verschachtelung unendlich vieler
wohlproportionierter Tätigkeiten besteht, die alle mittlerweile vertraut sind,
aber immer auch ein wenig neuartig und sparkly. Es passiert ständig irgendetwas,
das ich anklicken muss. Oder prüfen oder anfragen oder vorbereiten oder
nachbereiten oder liefern oder annehmen oder beauftragen oder abnehmen oder
sperren oder bestätigen und aktualisieren oder bestätigen ohne zu aktualisieren
oder auswählen oder rückmelden oder durchdenken oder planen oder anbieten oder
analysieren oder abschließen. Immer müssen Lösungen her und wenn ein Problem
platt gemacht wurde, kommt schon das nächste. Was aber gut ist: Alle Probleme
sind immer lösbar und mittlerweile weiß ich das auch und kenne mich schon ganz
gut aus und darum passieren hormonell interessante Dinge. Dauernd die Schublade
aufziehen zu können, sich ein kleines gut handelbares Problem rauszunehmen, es
zu betrachten, zu lösen und wieder zurückzulegen, lässt das Dopamin nur so
plätschern und ein angenehmer Flow stellt sich ein. Also an mittleren bis guten
Tagen.

Ich arbeite in der language industry. In der language industry arbeiten
eigentlich nur Drinnies. Übersetzer*innen und Lektor*innen sind Leute, die
graben sich ein in Texte und Recherchen und Kommentare und Terminologien und
Konsistenzen und Fachgebiete und Styleguides und Corporate Wordings und
Dudenauflagen. Die wollen nicht am Telefon sprechen, die wollen ne Mail bekommen
und ihre Ruhe haben. Die sind freiberuflich und sind schon im Ruhestand oder
noch im Studium oder auf Weltreise oder in Elternzeit. Die reagieren auf
Jobanfragen manchmal auch sehr aus dem Inneren heraus. Wenn sie lange nicht
beauftragt wurden und es gerade schwer ist mit dem Geld. Oder wenn sie ihre
Deadline nicht halten können, weil ihre Mutter ins Krankenhaus musste. Die
Mutter von ihnen ist oft im Koma. Überdurchschnittlich häufig habe ich den Satz
„meine Mutter ist leider ins Koma gefallen, kann ich den Text eine halbe Stunde
später liefern“ gelesen im letzten halben Jahr. Das ist ok, ja klaro geht das.
Einer hat mir geschrieben, dass es ihm emotional nicht gut gehe und sich eine
schlimme Krise entwickelt habe am Morgen und er lieber zum Arzt will, statt zu
übersetzen. Das ist doch ganz klar. Es ist selten, aber es kommt vor und ich
mag, wie sie mir als Auftraggeberin zeigen, dass ihr Leben vorgeht und dass sie
darauf vertrauen, dass es unsere Arbeitsbeziehung nicht stört. Aber auch schöne
Dinge werden geteilt, Hochzeitsfotos. Ich habe ein Hochzeitsbild gesehen, da hat
unser Übersetzer in Polen seine Frau geheiratet, mit der er nach Mexiko zieht
und seine Mutter schaut so unglaublich mies gelaunt aus. Die Mutter von Leuten
in der language industry, ich bekomme ungewöhnlich viel von ihr mit. Einer hat
ein Lama gestreichelt und direkt ein Bild gesendet, jemand denkt sich privat
gern Musikrätsel aus, schickt sie an einen riesigen Verteiler mit beruflichen
Kontakten und verlost dann Gewinne. Aber allerallermeistens liefern sie einfach
nur sehr gründlich und zuverlässig ab. Und fischen tonnenweise
Rechtschreibfehler aus Ausgangstexten raus, nebenbei als Service. Ich mag die
Menschen der language industry.
Hier erhält man einen kleinen Einblick, wie sie arbeiten und wie eine
Übersetzung entsteht.


DER URLAUB WAR SUPER, WIR HABEN IHN ABGEBROCHEN

fzerozero on 1. August 2022

Wir haben Ende Mai gedacht, wir brauchen im Sommer außerhäuslichen Urlaub und
haben geschaut, wo noch was frei war. Und vielleicht liegt da schon der Fehler.
Bzw. fängt da schon unsere verhaltensauffällige Beziehung zu Urlaub an. Warum
fällt uns das mit dem Urlaub immer erst zehn Minuten vor Abreise ein? Und dann
müssen wir hektisch Airbnb durchwühlen und ärgern uns, dass schon alles
ausgebucht ist. Warum können wir das nicht wie andere Leute schon im Winter
vorher oder so erledigen?
Wobei, es war anders, wir haben geschaut, was noch wo frei war. Also was war
wichtiger als wo. Eine Behausung mit Garten sollte es sein und ruhig. Und gern
so groß, dass die Kinder in richtigen Betten schlafen und nicht im Wohnzimmer
auf dem Sofa, das man dann jeden Tag umbauen muss. Wir haben auch was gefunden,
sogar in neu, alles frisch renoviert und mit schönen Tellern, Tassen und Löffeln
ausgestattet und das Waschbecken im Bad war auch sehr hübsch. Und sogar nicht in
Doitschland gelegen und trotzdem recht fußläufig am Ende der A2. Wir haben uns
sehr drauf gefreut und unser kleines Auto ganz voll gepackt und auch die
Sommerreifen noch schnell draufgezogen. Und dann waren wir da und die Sonne
schien und der Badesee war auf der einen Seite etwas klein, aber wenn man durch
ein kleines Wäldchen ging, kam man an der anderen Seite raus, am Campingplatz,
und da wars schön und da war nichts los und da gabs Schwäne, auf denen man über
den See strampeln konnte. Das haben das große Kind und ich übernommen, hinten
saßen die anderen beiden und haben entweder Stress gemacht wegen Haien oder
wegen zu großer Langsamkeit.



Und dann sind wir ein paar Tage lang zum See gegangen und durch die Gegend
gelaufen und waren im Supermarkt und im Garten und haben gegrillt und Cornflakes
zu Kinderfernsehen gegessen und lagen rum und haben gelesen und mit Bällen und
Ballsportgeräten gespielt und haben mit einem Gasherd gekocht und in heißen
Zimmern unterm Dach geschlafen und dann hats uns allen gereicht und wir haben
nach vier statt nach sieben Nächten unsere Sachen gepackt, aufgeräumt, sauber
gemacht, das Auto beladen und sind nach Hause gefahren. Und wenn man dann dort
ankommt und alles wieder auspackt und verräumt und wäscht (kaum schmutzige
Wäsche natürlich) und dann fertig ist, fühlt es sich an, als habe man ein paar
Bonustage geschenkt bekommen und gleichzeitig fragt man sich, ob man den größten
Knall von allen hat. Dass man die Tage im Jahr, an denen man woanders sein kann
und dafür ja auch viel Mühe und Mittel investiert hat, verschwendet, weil man
sie nicht voll ausschöpft, sondern nur bis zu dem Moment, an dem es eben reicht.
An dem man merkt, es zieht einen wieder nach Hause, wo alles ist, was man
braucht und mag. Wo Spielsachen und Bücher und Spiele und eine eigene Zimmertür
dafür sorgen, dass schlechtes Wetter komplett egal ist und gutes auch. Wo man
einfach nichts machen muss, anders als an den allermeisten Tagen im Jahr. Nur
sein.

Es ist ein bisschen so, wie eine top Pizza vom Lord aller Pizzen serviert zu
bekommen und dann nach der Hälfte, die wirklich gut war, eine wirklich
außergewöhnlich schön gemachte Pizza, zu merken, dass der Hunger weg ist und es
eigentlich reicht. Und dann einfach aufhört, sich bedankt und geht. Klingt doch
eigentlich ganz gut. Klingt ja fast schon nach achtsamer Urlaubsführung.


GARTEN

fzerozero on 31. Mai 2022




ZEIT IM MAI

fzerozero on 28. Mai 2022

Wenn man von morgens bis nachmittags frei hat, ist das ein sehr gutes
Zeitfenster. Da bleibt eine gewisse Grundspannung bestehen und trotzdem fühlt es
sich nach so angenehm unüberschaubar vielen Minuten an. Frei haben bedeutet: Die
Kinder sind in der Schule, Erwerbsarbeit fällt aus (wegen Kündigung aus den
richtigen Gründen. Gibts falsche? Ich weiß nicht, vielleicht schon. Ich hatte
jedenfalls in Absprache mit meinem Wertesystem richtige und gute und ich ziehe
also weiter und freue mich auf alles, was bald an neuer Stelle kommt. Aber bis
dahin halt: Urlaubstage abbauen und Überstunden ausgleichen). Es gibt keine
Termine und um die Steuererklärung oder das Badezimmer muss sich nicht so
superdringend gekümmert werden, dass es nicht auch morgen noch reicht oder im
Herbst. Es muss sich für sieben Stunden um so gut wie gar nichts gekümmert
werden, wenn man atmen nicht als offenes to do begreift, und ich entscheide ganz
allein, was ich in der Zeit mache. Erstmal Kaffee, O-Saft, Marmeladentoast
frühstücken im Bett mit den Tagesthemen. Dann direkt liegen bleiben mit einer
Folge The Office. Dann auf den Balkon umziehen und die Pflanzen anschauen, mit
einigen ein paar freundliche Worte wechseln. Wie schön sie wachsen, dieses Grün,
diesen Sommer haben wir Rosen, ich werde alt. Dann Podcast hören, anziehen und
Zähne putzen. Dann eine Runde raus, spazieren oder mit dem Rad in den Garten
fahren. Dort die Pflanzen anschauen, wie schön sie wachsen usw., eine Hütte wird
gebaut. Dann zurück, ein bisschen was Leckeres kochen und auf dem Balkon essen.
Dann auf der Bank dort lesen oder am Schal stricken und einen Kaffee trinken
oder eine Limo. Dann kommt das erste Kind von der Schule zurück und es ist Zeit,
aufzubrechen, um das zweite Kind von der Schule nach Hause zu begleiten. Das
wars mit der Selbstbestimmung. Sieben Stunden sind genau die richtige Dauer, um
nicht vollends zu versacken und gleichzeitig trotzdem richtig gut rumzutrödeln.
Ich habe das nun ein paar Wochen so gemacht und stelle fest: Es geht mir so gut
wie lange nicht, diese Leichtigkeit, warum geben wir sie so schnell her. Und in
Woche zwei und drei hätte ich fast einen Hund gekauft. Leider gab es da im
Tierheim kein Modell, das bestens erzogen, Kindern zugewandt, stubenrein,
gleichmütigen Charakters, carearbeitsbegabt, arm an Körperausscheidungen,
bewegungsfaul und auch sonst komplett anspruchslos war, darum hat das nicht
geklappt. Daran anschließend habe ich mich dann mit Staubsaugerrobotern, die
auch wischen können, beschäftigt und so einer wird’s wohl bald mal werden.


TRICK

fzerozero on 6. Januar 2022

Dem Drinnie-Kind Bluetoothkopfhörer aufsetzen, den Hamilton-Soundtrack auf dem
Handy starten, es in die Hosentasche stecken und nach draußen gehen.
Eine Runde spazieren und auf wundersame Weise folgt das Kind, tanzend sogar, und
macht absolut gar keinen Stress.




BEI TROST

fzerozero on 3. Januar 2022

Ich hab jetzt einen Ordner auf meinem Handy eingerichtet, da lege ich
Screenshots von Texten rein, die mindestens einer Ecke in mir gut tun und ich
nenne ihn mental health. Mental health ist „be soft and kind but take no shit“.
Mental health ist „is it cool if i misinterpret this through a distorted lens of
anxiety“. Mental health ist „the bees. they know everything. be a person. be a
person again“. Die Ecken in mir sind überall woanders, aber es sind im letzten
Jahr viele geworden. Die Pandemie und einige andere Umstände haben diese dünne
Haut verändert, die uns umgibt und die uns bei Laune hält, bei Verstand, die uns
ermöglicht, vor die Tür zu gehen, ins Flugzeug zu steigen, uns ins Auto zu
setzen, ins Konzert mittenrein zu gehen, keine Ahnung vielleicht auch einfach
mit Skiern einen Hügel runter zu fahren, all die Sachen zu tun, die Menschen
machen, weil sie sie erfunden und sich zu eigen gemacht haben, weil sie sie
ausreichend gut beherrschen. Weil unser Hirn normalerweise ausblendet, wie
verletzlich wir gebaut sind mit unseren ganzen Eingeweiden direkt unter der
Bauchdecke und so. Weil das Gefühl getragen zu sein uns begleitet und davor
schützt, zu viel Schutz aufzubauen, zumindest war es bei mir so und vielleicht
ist das allein schon ein großes Glück gewesen, ein Privileg, das nicht
selbstverständlich ist. Es ist mir ein wenig abhanden gekommen, die dünne Haut
ist bei mir stellenweise durchsichtig geworden, glaub ich. Jedenfalls hätte ich
manchmal gern einen Bunker. Und da würd ich dann mein Leben drin verwalten. Und
dabei durchschnittlich alt werden und unterdurchschnittlich oft existenziell
herausgefordert zu sein. Und das allein ist schon mal der dümmste Wunsch ever
und er bringt mich direkt zu Gott herself, Denn Gott fände es vermutlich richtig
mies von mir, mich einzubunkern und quasi die Schöpfung in Marmeladengläser zu
füllen, nur damit bloß nichts passiert. Nur damit niemand vor der Zeit stirbt.
Fuck off, das geht so nicht. Raus mit dir und du kannst eh nicht tiefer fallen
als in meine Hand, würde sie sagen. Aber ich glaub halt nicht an Gott und das
war bislang kein Problem für mich, aber nun merke ich langsam, dass es mich doch
schon an den Rand von irgendwas bringt. Dass ich ein spirituelles Gesamtkonzept
als Orientierungspunkt am Horizont jetzt vielleicht doch ganz gut gebrauchen
könnte. Thea Dorn hat beim Alles gesagt-Podcast gesagt, dass es eigentlich nur
rational und logisch ist, genau jetzt in dieser Pandemie als Antwort auf diesen
ganzen globalen Abfuck gläubig zu werden. Dass Glauben den Trost spendet, der
uns hilft, die Erkenntnis zu überwinden, dass Kontrolle eine Illusion ist.
Gut, also wollen wir’s auch mal nicht übertreiben. Ich kuratiere mir jetzt
offensichtlich meinen eigenen Sprüche-Wandkalender in meinem Handyordner, das
ist nicht nichts.
Mental health ist „everything you want is on the other side of fear“. Mental
health ist „there is a crack in everything and that‘s how the light gets in“.
Mental health ist „learn to sit back and observe. not everything deserves a
reaction“.

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