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BLACKBIRD, FLY AWAY.




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Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.







SAMSTAG, 4. NOVEMBER 2023


#138: MEERESBIOLOGIESTUDIUM II


Ich frage mich, wie ich dich dazu bringen kann, mich in Ruhe zu lassen.
Vielleicht schreibst du mir jetzt nicht mehr, denke ich, und weiß doch selbst,
wie das ist. Irgendwann ja, bestimmt. Irgendwann ja.
„Vielleicht  muss man die Wahrheit immer wieder in eure Welt hineinschreien, bis
ihr sie endlich sehen könnt“, hast du geschrieben. Wie absolut hoffnungslos.
Wenn du doch angekündigt hast, mir weiterhin seitenlange Briefe darüber zu
schreiben, wie absolut psychisch kaputt ich bin, bis ich es endlich einsehe.
Wann sehe ich es ein, deiner Meinung nach? Wenn ich mich von ruru trenne? Wenn
ich wieder mit dir Kontakt haben will? Wenn ich so lange zu Therapeuten renne,
bis mir irgendjemand Borderline diagnostiziert?


Ich hab mir Persönlichkeitsstörungen durchgelesen, weil ich deine Gedanken
verstehen wollte, deine und die der Tagesklinik. Letztere verstehe ich jetzt
besser. Scheinbar beinhaltet die Therapie von Persönlichkeitsstörungen
teilweise, dass man es dem Patienten erstmal nicht sagt, weil dieser sonst die
Therapie beenden würde, erstmal Vertrauen aufbaut und den Patienten dann langsam
selbst zu der Erkenntnis kommen lässt, dass das eigene Verhalten nicht das
Bedürfnis erfüllt, das man eigentlich hat.
Es gibt da vermutlich verschiedene Ansätze, aber das war einer, den ich gefunden
hatte.


Es frisst sich in meine Gedanken.
Ich fühle mich so unglaublich belogen.
Man kann doch mit mir reden, denke ich mir.
Ich frage mich, ob alles, was meine ambulante Therapeutin jemals zu mir gesagt
hat, eine Lüge war. Dass sie mich als selbstreflektiert erlebt, dass ich es
merken würde, wenn ich mich missbräuchlich verhalte. Aber es war ja eine aktive
Aussage, sie hätte einfach nichts sagen können, beziehungsweise einfach nur „ich
finde auch nicht, dass Sie jemanden missbraucht haben“, wenn es nur um
Bestätigung ginge.
Und es stimmt doch, dass ich merke, wenn ich mich missbräuchlich verhalte. Ich
mache das manchmal. Ich hab dir davon erzählt, im Juni, du wolltest mir nicht
glauben. „Manchmal will ich Menschen verletzen.“
Ich muss doch nicht belogen werden.


Ich verliere mich, weiß nicht, wo ich die Wahrheit herbekommen soll. Nicht von
dir, deine Nachrichten sind voller Dinge, die nicht stimmen, nicht mal nur
meiner Einschätzung nach, einfach so komplett random Zeug, von dem ich nicht
verstehe, wie du überhaupt darauf kommst. Nicht von der Tagesklinik, die ist ja
vorbei, nicht hier, mich kennt hier niemand und wenn es ohnehin Therapeuten
gibt, die einen anlügen, wie soll man dann irgendjemandem vertrauen?


Aber meine ambulante Therapeutin hat ja gesagt, sie denkt, die Tagesklinik hat
all diese Dinge gesagt, weil ich so unfähig bin mein Innenleben auszudrücken.
Weil ich lächle und lächle und lächle und sure, ich wurde missbraucht, na ja,
hier sind zwei Stichpunkte darüber und mein einziges Problem gerade ist, dass
ich Aggressionsprobleme habe. Trauma-Symptome? Pfft.


Ich hab mit ihnen über chronische Schmerzen geredet, ob man eigentlich ihrer
Meinung nach etwas Besseres machen kann, als alle zwei Wochen eine Voltaren zu
nehmen und ansonsten damit zu leben. Woran ich merke, dass es mich so stark
belastet, was genau mich so sehr belastet daran. „Ich hab nicht das Gefühl, dass
es mich belastet“, meinte ich. „Aber ich habe mal zwei Wochen lang jeden Tag
Schmerztabletten genommen wegen was Anderem und gemerkt, dass es mir plötzlich
viel besser ging.“
Das ist mein Leben. Ich fühle mich selten allgemein belastet. Nur manchmal sind
Sachen weg und ich merke, wie viel besser mein Leben plötzlich ist.


Meine Therapeutin hätte das nicht gesagt, wenn sie lügen würde, oder? Sie hätte
einfach nichts sagen können. Oder „vielleicht hatten Sie einfach Pech mit der
Tagesklinik“. Richtig? Richtig?


Seit Blyth habe ich das Gefühl, ich bin gefangen. Ich gehe in Therapie und ich
existiere nicht. Ich bin leer, mir geht es gut und es gibt nichts zu sehen bei
mir. Ich kann emotional nicht in einem Safespace funktionieren. Ich hab mal
versucht, das meiner Therapeutin zu erklären, „ich kann nicht hier sitzen und
Sie packen mich in Watte ein und achten darauf, mich bloß nicht zu triggern und
dann gehe ich zurück in die Welt und werde getriggert, sobald ich länger als
fünf Minuten mit jemandem rede und ich kann nicht lernen mit der Realität
umzugehen an einem Ort, der so komplett fernab der Realität ist“. Sie hat nicht
wirklich verstanden, was ich meinte.
Irgendwann habe ich sie angefleht, Verhaltenstherapie mit mir zu machen, weil
mir das was bringt, weil da der Großteil der Therapie in der realen Welt
stattfindet. Es hat so lange gehalten bis ich zum ersten Mal geweint habe, weil
ich getriggert war. „Deswegen halte ich das nicht für sinnvoll.“
Ich hab mich so verloren gefühlt. Es hat mir doch was gebracht, ich habe doch
was gelernt.
Wir waren zurück bei den Gesprächen, die ich nicht führen konnte.


Ich hab nicht das Gefühl, dass es so schwierig ist. Ich brauche diesen Safespace
am Anfang, vielleicht drei Monate, weil ich so viel Angst habe. Aber entweder
mir wird das nicht gegeben oder ich werde nie daraus entlassen. Vielleicht
kommuniziere ich so schlecht, was ich brauche, denke ich mir. Vielleicht kann
ich das lernen. Vielleicht ist es nächstes Mal anders. Jedes Mal.


Ich hab meiner Therapeutin öfter gesagt, dass die Therapie mir nichts bringt,
ich wollte das erklären, was wir ändern müssen, was ich brauche. Selbst nach
zwei Jahren dachte sie noch, ich mache das zur Abgrenzung. „Die Therapie hilft
mir nichts, also kann ich jederzeit gehen. Sie können mich nicht missbrauchen!“
Und ich wollte doch nur Hilfe. Mehr als „ich habe gerade dieses akute Problem,
was sagen Sie dazu?“ Ich wollte DIS-Therapie und Trauma-Therapie und ich
verstehe nur einfach nicht, was ich dafür machen muss.
Ich hab mal in den Raum gestellt, ob ich autistisch bin, weil nahezu alle meine
Freunde autistisch sind und ich ja offensichtlich ein massives
Kommunikationsproblem habe gegenüber jeder Person, die nicht autistisch ist. Ich
sage etwas und es wird etwas komplett anderes verstanden, bei dir, bei
Therapeuten, nur bei meinen Freunden nicht.
Ein Therapeut meinte, er glaubt das nicht, aus komplett dummen Gründen, aber im
Grunde glaube ich es selbst nicht. Es gibt nichts, was dafür spricht, außer das.
Als ich das letzte Mal gegenüber einem Therapeuten erwähnt habe, dass ich
komplett sozial unfähig bin und irgendwie nie sagen kann, was ich meine, hat er
mich gefragt, warum ich in Therapie gehe. Das wäre kein Problem für Therapie.
Also hab ich das ganze Trauma aus meinem Leben aufgelistet und das war plötzlich
Grund genug, um 100 Stunden bewilligt zu bekommen, obwohl ich nicht mal was über
Symptome gesagt habe.


Es ist für mich unverständlich, wie ich meine Probleme so klar ausdrücken kann
und sie werden trotzdem so missverstanden. Ich hab versucht daran zu arbeiten,
Texte darüber geschrieben, um sie in der Therapie vorlesen zu können, in der
Hoffnung, vielleicht kann ich es ja schriftlich besser. Mich gefragt, ob ich
einfach zufälligerweise richtig Pech mit Therapeuten habe, dass ich niemanden
finde, der mich versteht. Hab mich gefragt, ob ich autistisch bin, ob es das
ist, aber jedes Mal komme ich zu dem Schluss Nein. Meine Schwester wurde vor
einem halben Jahr mit ADHS diagnostiziert und daraufhin wohl meine halbe
Familie, hab es mir durchgelesen und klar, Konzentrationsstörungen habe ich
natürlich, aber der Rest war mir vollkommen fremd. „Vielleicht ist das die
Erklärung“, denke ich, immer wieder, aber es passt nicht, überhaupt nicht. Die
DIS ist das Einzige, was jemals wirklich gepasst hat. Aber auch die erklärt
nicht, warum ich so kommunikationsunfähig bin.

Geschrieben von Cirrus Floccus 1 Kommentar:





MONTAG, 6. FEBRUAR 2023


132


Ich war bei der Polizei, dich anzeigen. Na ja - eher aufnehmen lassen, dass du
den ganzen weiten Weg von Nürnberg nach Hamburg gefahren bist, um vier Monate
nach Ende der Beziehung ein Treffen und ein Gespräch zu erzwingen, das ich
unmissverständlich nicht wollte. Eine Straftat ist das natürlich nicht. Das ist
nur meine Absicherung, falls ich jemals durchsetzen muss, dass du mir fern
bleibst.
Es war seltsam. Das Gebäude zu betreten, über das ich so oft nachgedacht habe.
„Ich möchte etwas anzeigen.“
Kurz stand ich da, während der Polizist alles aufgeschrieben hat, und habe mich
gefragt, ob ich auch noch meinen Vater anzeigen sollte. Oder Blyth, wo ich schon
dabei war. Es alles erzählen, in die Welt bringen, aus mir raus schreien. Ob
sich die Worte dann schützend um mich legen, die ständige Erinnerung daran, dass
ich nichts nichts nichts beweisen kann, endlich egal wird.
Als wäre es real geworden, weil es in irgendeinem staatlichen Computer steht.
Als hätte ich endlich Nein gesagt.


Ich hab das Gefühl, als würde ich von Innen verbrennen. Plötzlich, endlich, habe
ich gelernt, wie Widerstand funktioniert. Ich hab mich vier Wochen von dir
missbrauchen lassen, vier Wochen zu viel, aber es waren nur vier Wochen. Ich hab
dir ein Gespräch gegeben, bin gegangen, eine Nachricht gegeben, nicht mehr und
dann habe ich dir innerhalb von fünf Minuten die Tür vorm Gesicht zugeschlagen.
Unmissverständlich.
Ich will dich nie wieder in meinem Leben haben.


Vielleicht ist das der höchste Punkt, den man erreichen kann. Ein Punkt, an dem
ich nicht mehr verstumme, mein Nein durchsetze, wieder und wieder und wieder und
immer mehr. Vielleicht ist es für all die Neins, die ich nie gesagt habe, zu
spät.
Vielleicht ist das hier Therapie. Nicht der sichere Ort der Psychologenzimmer,
die Frauentraumagruppen, das Vermeidungsverhalten, in das ich gedrängt werde,
das ich nie wollte. Die Welt, in der man sich selbst am allermeisten glauben
muss.

Geschrieben von Cirrus Floccus Keine Kommentare:





DONNERSTAG, 12. JANUAR 2023


#130: ALTERSUNTERSCHIED


Wenn irgendjemand eine Beziehung mit großem Altersunterschied eingeht, werden
oft Warnungen ausgesprochen. Dass die jüngere Person nur missbraucht werden
wird, so etwas entsteht ja ohnehin nur, weil jemand Machtkomplexe hat, ...
Und ich verstehe es. Wirklich. Vermutlich ist das in den meisten Fällen so. Es
war bei Blyth nicht anders.
Ich möchte trotzdem darüber reden, warum es das Gegenteil von hilfreich ist, so
etwas zu hören. Warum es sogar schädlich sein kann.


Als wir mit Blyth zusammengekommen sind, hat er uns nicht missbraucht. Ich
glaube, die meisten Beziehungen mit Tätern fangen so an - wenn Missbrauch schon
an Tag 1 passieren würde, würde man vermutlich gehen.
Die Beziehung war schön. Ich weiß nicht genau wie lange, ungefähr drei Monate
werden es gewesen sein. Dann hat Blyth Schluss gemacht, weil ihm „aufgefallen“
ist, dass es ja illegal für ihn ist, mit uns zusammen zu sein. Das war
vermutlich ein Test - denke ich inzwischen. Ein Test, ob wir jetzt abhängig
genug sind. Und ja, waren wir - wir haben sehr dafür gekämpft, ihn davon zu
überzeugen, dass das egal ist, weil wir nicht darüber reden werden.
Direkt danach fing der Missbrauch an.


Unsere Freunde wussten alle von der Beziehung - außer natürlich die, die Blyth
kannten oder jemand anderen kannten, der Blyth kannte, damit auch definitiv
nichts herauskommen konnte. Und alle waren sich sehr einig: Der ist 20 Jahre
älter, er wird dich missbrauchen. Das war das einzige Thema. Immer. Ich konnte
Blyth nicht erwähnen. Sobald ich ihn erwähnt habe, hieß es, ich soll Schluss
machen, er wird mich missbrauchen und so weiter und so fort.


Als Blyth dann tatsächlich angefangen hat, uns zu missbrauchen, hatte ich
absolut keine Lust mehr über meine Beziehung zu reden. Vor allem nicht über so
was. Ich dachte ja, ich hätte ein Kommunikationsproblem, aber ich wusste, ich
würde gar nicht bei meinen Problemen ankommen, weil sofort ohnehin nur wieder
von Missbrauch geredet werden würde. Also habe ich erstmal ziemlich lange gar
nicht darüber geredet.


Nach einer besonders unschönen Situation einige Monate später, habe ich dann
damit angefangen, weil ich doch irgendwie Hilfe brauchte. Ich beschrieb also
meinen Freunden, wie Blyth mich missbraucht hatte und natürlich wurde das auch
sofort angemerkt und gesagt, ich solle um Himmels Willen mit ihm Schluss machen.
Aber das kannte ich ja schon. Das sagten die immer. Nur weil er 20 Jahre älter
war. Also hab ich es einfach ignoriert. Teilweise sogar gesagt, ich hätte
Schluss gemacht. Teilweise einfach nicht mehr drüber geredet.
Selbst als ich dann selbst auf den Gedanken kam, es könnte Missbrauch sein, habe
ich lieber mit komplett fremden Menschen darüber geredet. Weil meine Freunde mir
einfach überhaupt nicht zugehört haben. Ich konnte nicht ein Wort über Blyth
verlieren. Es ging sofort darum, wie er der schlimmste Mensch auf dem Planeten
ist, weil er 40 Jahre alt ist.


Und ja, um ehrlich zu sein - wahrscheinlich hätte ich es auch dann nicht
verstanden, wenn sich tatsächlich jemand mit mir hingesetzt und darüber geredet
hätte. Wahrscheinlich wäre ich trotzdem ähnlich lange mit Blyth zusammen
geblieben. Im Endeffekt kann man das nicht sagen.
Aber ich wäre nicht so verdammt alleine mit einer traumatisierenden Beziehung
gewesen.
Dass Blyth 40 war, ist so verdammt egal.
Er hätte 25 sein können. Es wäre genauso traumatisch gewesen.


Hätte ich die ersten drei Monate haben können. Wäre Schluss gewesen, als Blyth
Schluss gemacht hat.
Es wäre kein Missbrauch gewesen. Es ist mir egal, was irgendein Gesetz dazu
sagt. Es wäre hilfreich gewesen. Es ist hilfreich gewesen. Es hat bis heute
positive Auswirkungen, dass diese drei Monate existiert haben.
Das Gesetz existiert, weil es meistens nach diesen drei Monaten mit Missbrauch
weitergeht. Weil Blyth nur wundervoll war, damit wir abhängig werden.


Aber ich bin mit Menschen befreundet und nicht mit einem Gesetz.
Es war nicht Missbrauch, weil Blyth 20 Jahre älter war. Es war auch nicht
Missbrauch, weil Blyth unser Psychologe war. Es war Missbrauch, weil es
Missbrauch war.
Ich wünschte, ich hätte in einer Welt gelebt, in der Menschen mir tatsächlich
zugehört hätten.


Und ich hoffe, wenn eure Freunde mit euch über etwas reden wollen, hört ihr
ihnen zu und stopft ihnen nicht den Mund mit Sorge um ihr Wohlergehen.

Geschrieben von Cirrus Floccus 2 Kommentare:



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