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Text Content

STATEMENT DER IL ZUM OUTING EINES EHEMALIGEN GENOSSEN

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Interventionistische Linke 08/2023

Mit diesem Papier möchten wir uns als Interventionistische Linke zu unserem
Outing aufgrund eines sexualisierten Übergriffs eines ehemaligen Genossen vom
Juli 2022 äußern. Das Statement ist Ergebnis eines monatelangen, kontroversen
Diskussionsprozesses zwischen allen Ortsgruppen der iL, in dem wir uns nicht
immer in allen Punkten einig waren. Der interne Diskussionsprozess wird
weitergehen und wir werden uns wieder dazu äußern, wenn wir das für richtig
halten.

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Fälle sexualisierter Gewalt sind permanente und immer wiederkehrende Realität
vor allem für FLINTA. Mit den Vorfällen von Monis Rache im Jahr 2020 ist einmal
mehr deutlich geworden, dass es wirklich nichts gibt, was an sexistischem,
gewalttätigem, übergriffigem Verhalten nicht denkbar ist und die vermeintliche
persönliche Einschätzungsfähigkeit von Männern keine tragfähige Kategorie
darstellt, die Auseinandersetzung mit feministischer Theorie und selbst der
Besuch von kritischen Männlichkeitsworkshops nichts daran ändern, dass dieselben
Männer Täter sein können und immer wieder sind. Das ist das Szenario, aus dem
heraus solidarische Parteilichkeit mit Betroffenen sexualisierter Gewalt ihre
Notwendigkeit und Berechtigung gewinnt. Wir bekräftigen als IL deshalb das
Prinzip der solidarischen Parteilichkeit, wie wir es in unserem Leitfaden zum
Umgang mit sexueller/sexualisierter Gewalt festgelegt haben: Betroffenen wird
geglaubt, sie müssen nichts „beweisen“ und erhalten umfassende Unterstützung.
Dieser Text ist also kein Plädoyer für eine bessere Beweisführung von
Betroffenen bei sexualisierter Gewalt. Es ist richtig und wir halten daran fest,
dass Betroffenen geglaubt wird. Wir wollen uns hier aber damit beschäftigen,
dass es in unserem spezifischen Fall nicht ausschließlich um die Wahrnehmungen,
Empfindungen und Erfahrungen geht, sondern wir es auch mit externem Material,
das unabhängig von der Betroffenen ist, zu tun hatten.

Trotz Häufigkeit und Frequenz von Vorfällen wie Auseinandersetzungen verfallen
linksradikale und linke Strukturen aber immer wieder in ähnliche Muster,
scheitern an ähnlichen Kommunikationsdynamiken, handeln inkonsequent, machen
Fehler. Wir haben uns als iL 2017 einen Leitfaden zum Umgang mit sexualisierter
Gewalt gegeben, um diesen Fehlern vorzubeugen und um einen Umgang unter uns zur
permanenten Auseinandersetzung zu machen, Betroffene zu schützen,
Ansprechbarkeit zu schaffen und uns in die Lage zu versetzen, klare, nicht von
persönlichen und politischen Beziehungen beeinflusste Entscheidungen treffen zu
können. Heute müssen wir feststellen, dass wir trotzdem in der
Auseinandersetzung mit einem Fall sexualisierter Gewalt gescheitert sind.

Im Juli 2022 haben wir einen ehemaligen Genossen als Täter sexualisierter Gewalt
bundesweit mit Vornamen und Foto geoutet. Wir haben öffentlich geschrieben, dass
er ohne das Wissen und gegen den Willen einer Frau intime Fotos und
Beschreibungen eines Dates angefertigt und mit Dritten geteilt hat. Darüber
hinaus haben wir ihm vorgeworfen, als Teil eines Männernetzwerks zu agieren, das
gezielt Listen mit Informationen von FLINTA anfertige, um Sex mit ihnen zu haben
und im größerem Umfang pornografisches Material miteinander geteilt habe.
Ersteres basiert darauf, dass die Betroffene durch Dritte intime Fotos gezeigt
bekommen hat, die sie eindeutig einem Date mit dem Täter zuordnen konnte.
Letzteres basierte auf konkreten Hinweisen, die dem Umfeld der Betroffenen durch
eine anonyme Quelle u.a. per E-Mail zugespielt wurden.

Im Januar 2023 wurde uns durch Informationen, die eine selbsternannte
Recherchegruppe mit Nähe zum Umfeld des Täters veröffentlichte, bekannt, dass
eine E-Mail der anonymen Quelle derartige technische Inkonsistenzen aufweist,
dass diese so nicht verschickt worden sein kann. Wir wissen heute, dass es sich
dabei um die erste schriftliche Kontaktaufnahme der Quelle handelte. Diese Mail
muss derart bearbeitet worden sein, dass wir von einer Fälschung sprechen
können. Wir haben eine Kommission eingesetzt, die das Zustandekommen der
Fälschung unter Einbindung Externer untersuchen und sämtliche Aspekte
unvoreingenommen bewerten sollte. Wir müssen an dieser Stelle mitteilen, dass
wir mit unserem Vorhaben bezüglich dieses Auftrags gescheitert sind. Wir haben
es nicht geschafft, der Untersuchungskommission die notwendigen IT-forensischen
Untersuchungen zu ermöglichen. Die Konsequenzen dieses Scheiterns werden wir
intern noch weiter diskutieren müssen.

Da diese E-Mail so niemals verschickt worden sein kann, wir diesen Sachverhalt
aber nicht nachvollziehbar aufklären konnten und wahrscheinlich nicht mehr
aufklären können werden, ist die durch uns getroffene Einschätzung nicht mehr
aufrechtzuerhalten, dass die Aussagen der anonymen Quelle glaubwürdige „konkrete
Hinweise“ auf die Existenz eines Männernetzwerkes und entsprechender Chatgruppen
liefern würden. Dies hat keine entlastende Wirkung bezüglich des Sachverhalts
der ohne Zustimmung aufgenommenen und weiterverbreiteten Fotoaufnahmen an sich.
Der Umstand der E-Mail-Fälschung ändert nichts an dem Umstand, dass ohne Wissen
der Betroffenen intime Fotos und Beschreibungen des Dates mit C. angefertigt und
mit Dritten geteilt wurden. Die von der Betroffenen gesehenen, eindeutig
zugeordneten Fotos stammen aus einer Situation in privaten Räumen, in der sich
nur der ehemalige Genosse und die Betroffene befunden haben. Es bleibt für uns
deshalb die plausibelste Erklärung, dass diese durch C. aufgenommen wurden.

Trotzdem hat das Folgen für das von uns verfasste Outing: Wir sind vor dem
Hintergrund der Schwere der im Raum stehenden Vorwürfe mit einer potenziell sehr
großen Zahl Betroffener eines Männernetzwerks den Weg des bundesweiten Outings
mit Namen und Foto gegangen. Die Anfertigung und Weitergabe von Fotos und
Beschreibung eines Dates ohne das Einverständnis aller Beteiligten ist absolut
inakzeptabel und muss Konsequenzen nach sich ziehen. Dennoch würden wir diese
Form des Outings in diesem Fall nicht noch einmal wählen. Allgemein hat die IL
(noch) keine Praxis oder Einigkeit zu Outings.

Auf Basis der heutigen Informationslage hätten wir andere Wege der Konfrontation
mit dem Täter gesucht und einen anderen Umgang mit seinem Umfeld gewählt. Vor
allem wären wir mit den Hinweisen zum Männernetzwerk anders verfahren. Die Form
des Outings – das müssen wir deswegen deutlich eingestehen – war aus heutiger
Sicht ein Fehler. Wir halten an den Vorwürfen gegen C. bezüglich seiner
Beteiligung an einem Männernetzwerk, die auf den Informationen der anonymen
Quelle fußen, nicht weiter fest. Dass er die intimen Fotos aufgenommen hat, ist
für uns damit allerdings nicht ausgeräumt.

Wir haben mit dem Schritt des Outings ein hohes Maß an Verantwortung übernommen.
Wir waren mit einem Fall digitaler sexualisierter Gewalt und der Möglichkeit
einer Vielzahl weiterer Betroffener konfrontiert. Unser Leitfaden zu
sexualisierter Gewalt, hinter dem wir weiter stehen, hat uns auf diese Situation
nicht umfassend vorbereitet. Gleichzeitig kann uns kein Leitfaden schwere
Entscheidungen abnehmen, die wir in eigener Verantwortung treffen müssen. Das
haben wir getan.

Die vorliegenden technischen Informationen hatten wir jedoch nicht hinreichend
geprüft. Dieses Versäumnis war ein schwerer Fehler. Wir haben intern nicht mit
der notwendigen Klarheit miteinander gesprochen, die Kommunikation war
verständlicherweise emotional und moralisch aufgeladen. Deshalb ist es uns nicht
ausreichend gelungen, die im Leitfaden vorgesehenen Räume für Fragen und Zweifel
zu schaffen. Das hat eine Situation herbeigeführt, in der wir erst durch die
höchst zweifelhaft motivierte Recherche aus dem Umfeld von C. im Zuge seines
zivil- und strafrechtlichen Angriffs gegen die Betroffene auf die Fälschung der
E-Mail aufmerksam gemacht wurden. Unser Verhalten konnte dafür genutzt werden,
die Glaubwürdigkeit der hier Betroffenen wie auch Betroffener in anderen
Kontexten in Zweifel zu ziehen und gerichtliche Angriffe auf diese zu befördern.
Dafür müssen und wollen wir uns entschuldigen und Verantwortung übernehmen.

Ebenso müssen und wollen wir uns für die Verunsicherungen entschuldigen, die
durch das Outing des Männernetzwerks bei FLINTA in Köln und bundesweit
entstanden sind, weil sie sich fragen mussten, ob sie auch Betroffene dieses
Netzwerks sein könnten, was weitreichende Konsequenzen für sie, ihr Befinden,
ihren Alltag und ihre Beziehungen hatte. Ernsthaftes und verantwortliches
Handeln erfordert unseres Erachtens nicht nur solidarische Parteilichkeit,
sondern auch Genauigkeit. Das haben wir gelernt. Es ist für uns dabei weiterhin
eine offene Frage, wie ein angemessener und verantwortlicher Umgang mit solchen
unsicheren Informationen aussieht.

In Bezug auf C. möchten wir hier trotz allem klarstellen, dass die
Vorgehensweise, eine Betroffene vor Gericht zu zerren und ihre Betroffenheit in
Frage zu stellen, ein zutiefst misogynes und unentschuldbares Verhalten
darstellt. Ebenso möchten wir klarstellen, dass auch die Vorlage interner
Unterlagen, Protokolle und Kommunikationsverläufe einer linksradikalen
Organisation, die mittlerweile auch vollumfänglich Bestandteil eines
strafrechtlichen Verfahrens inkl. eines eigenständigen Ermittlungsinteresses der
Staatsanwaltschaft geworden sind, ebenso ein unentschuldbares Verhalten
darstellt.

Auch wenn wir auf Basis der heutigen Informationslage kein Outing in dieser Form
durchgeführt hätten, sehen wir keinen Grund, uns bei C. zu entschuldigen. Noch
vor einer iL-internen Veröffentlichung der Vorwürfe hat er damit begonnen, die
Betroffene zu verunglimpfen und mit einem Gerichtsverfahren zu drohen. Er hat
sich den verbindlichen Prozessen zur Zusammenarbeit nach unserem Leitfaden zum
Umgang mit sexualisierter Gewalt entzogen. Er hat sich zu keinem Zeitpunkt
solidarisch oder auch nur empathisch mit der Betroffenen gezeigt, ebenso wenig
hat er die Existenz von Fotos unabhängig von ihrem Zustandekommen anerkannt und
zur Aufklärung dieses Umstandes beigetragen. Er hat durch sein eskalatives
Kommunikationsverhalten und der zivil- wie strafrechtlichen Verfahren andere
Wege des Umgangs deutlich erschwert.

Unsere Entscheidung zum Outing bedeutet nicht, dass die Sache für uns erledigt
ist. Wir werden uns weiter mit den von uns gemachten Fehlern kritisch
auseinandersetzen, um diese nicht zu wiederholen. Bearbeitungen von Fällen
sexualisierter Gewalt sind davon geprägt, dass sie emotional nahe gehen, dass
sie Beziehungen in Frage stellen, Entscheidungen verlangen und Fehler
unterlaufen. Sie sind auch davon geprägt, dass alle das Richtige tun wollen,
dies aber nicht zwangsläufig tun, sondern dass nachvollziehbare Affekte und
Emotionen notwendigen Handlungen im Weg stehen können. Hier haben nicht nur wir
als iL, sondern wir alle noch viel zu lernen.

Wir wünschen uns eine kritische Auseinandersetzung nicht nur mit uns, sondern
eine mit der Realität von Verhaltensweisen von Männern in unserer Szene. Wir
sind erschüttert davon, dass in öffentlichen Statements und Gesprächen aus dem
Umfeld von C., aber auch darüber hinaus wenig bis gar keine Empathie für die
Betroffene gezeigt wird, ihre Aussage zu den intimen Fotos nicht nur nicht zur
Kenntnis genommen, sondern einfach immer wieder als Lüge tituliert wird. Kennen
wir das nicht? Woraus resultiert die Verteidigung von Männern, die für ihr
Mackerverhalten bekannt sind, weswegen sie bereits konfrontiert wurden, und
gegen die darüber hinaus weitere Vorwürfe laut wurden? Woraus resultiert die
Nichtzurkenntnisnahme von unausgeräumten Beschuldigungen? Woraus resultiert die
Nichtauseinandersetzung mit der Realität sexistischer Verhaltensweisen?

Wir haben Fehler gemacht und wollen dazu stehen. Wir halten Kritik aus,
durchdenken sie, nehmen sie an, wenn wir sie für richtig halten. Wir müssen
selbstkritisch resümieren, dass wir es nicht geschafft haben, eine politische
Auseinandersetzung und Diskussion darüber zu entfachen, worum es eigentlich
geht: die Realität dessen, was man nicht glauben will – die Allgegenwart
patriarchaler Gewalt und der damit verbundenen Dynamiken. Denn es ist diese
Realität, die solidarische Parteilichkeit immer wieder erfordert.

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Zur besseren Nachvollziehbarkeit haben wir unsere alten Statements auf dieser
Seite zum nachlesen aufbewahrt. Diese spiegeln zum Teil nicht mehr unseren
heutigen Standpunkt wieder. Das aktuelle Statement findet ihr ganz oben.


DRITTES STATEMENT ZU VORFÄLLEN SEXUALISIERTER GEWALT

07.02.2023

Im Juli 2022 haben wir einen ehemaligen Genossen als Täter sexualisierter Gewalt
geoutet. Seitdem sehen wir uns sowohl mit solidarischen Ermutigungen und
Unterstützung, als auch mit diversen Veröffentlichungen zu Gunsten des Täters
konfrontiert. Bisher haben wir darauf verzichtet, uns dazu zu äußern - nicht, um
uns der Verantwortung zu entziehen, sondern weil wir keine öffentliche
Schlammschlacht führen wollen.

Zu einem kürzlich veröffentlichten Text mit dem Titel „Gegendarstellung“ nehmen
wir nun Stellung. Dieser bezieht sich auf Informationen, die aus
nicht-öffentlich zugänglichen Gerichtsakten eines laufenden Verfahrens stammen.
Einem Verfahren, in dem der Täter die Betroffene verklagt und in einem
kräftezehrenden Prozess vor Gericht zerrt.

In der „Gegendarstellung“ wird unter anderem auf technische Inkonsistenzen zu
einem E-Mail-Header hingewiesen, die bisher nicht erklärlich sind. Diesen
Umstand nehmen wir ernst. Die Inkonsistenzen werfen zwar Fragen in Bezug auf den
Ursprung einer E-Mail auf, sie ändern aber nichts an dem Umstand, dass ohne
Wissen der Betroffenen intime Fotos und Beschreibungen eines Dates angefertigt
und mit Dritten geteilt wurden. Die dargestellten technischen Inkonsistenzen
entlasten den Täter diesbezüglich nicht. Wir werden eine Untersuchung unter
Einbindung Externer durchführen, die sämtliche Aspekte unvoreingenommen
bewertet.

Wir sind den Schritt des Outings nicht leichtfertig gegangen und uns unserer
Verantwortung bewusst. Deswegen setzen wir uns auch mit Veröffentlichungen
auseinander, deren Absichten wir ablehnen: Die „Gegendarstellung“ stellt
Informationen selektiv zu Gunsten des Täters heraus und suggeriert mehr
Inkonsistenzen als tatsächlich vorhanden sind. Die gezogenen Schlüsse, die
einzig der Entlastung des Täters dienen sollen, können auf Basis der
dargestellten Informationen nicht belegt werden. Es handelt sich also um eine
tendenziöse Auslegung von Informationen zu Ungunsten der Betroffenen.

Eine solche Veröffentlichung ist politisch erschütternd, weil sie den Fokus
einzig und allein auf das vermeintlich Wissenschaftliche und Technische rückt.
Allein unter der Prüfung von technischen Details wird versucht, einen Fall
sexualisierter Gewalt zu verhandeln. Die Argumentationsebene gibt einen
absoluten Wahrheitsanspruch auf Basis von Expert*innenwissen vor, was eine
völlige Entpolitisierung des Falls zur Folge haben soll.

Wir fragen uns immer wieder: Während unermüdlich Energie in den Versuch einer
Entlastung des Täters - der sich einem gemeinsamen Leitfadenprozess mit uns
entzogen hat - gesteckt wird, wo bleiben all die Fragen an ihn? Es zeigt sich
wiederholt, dass in diversen Veröffentlichungen die Ehrenrettung des Täters im
Fokus steht – oft gehüllt im Deckmantel einer solidarisch-feministischen Kritik.
Dabei wird die Möglichkeit der Täterschaft seitens der Kritiker*innen nicht
einmal in Betracht gezogen, geschweige denn bearbeitet. Stattdessen werden
öffentlich intime Informationen über die Betroffene verbreitet. Das ist für uns
keine Grundlage für eine kritische Auseinandersetzung.

Es ist ein strukturelles Merkmal von Fällen sexualisierter Gewalt, dass sie
nicht ausschließlich beweisbasiert behandelt werden können. Eine feministische
Auseinandersetzung muss auf dieser Erkenntnis basieren. Vorhandene Informationen
und Indizien müssen ausgewertet und kritisch gewürdigt werden. Das zu tun, liegt
in unserer Verantwortung. Dennoch kann die vermeintliche Beweislage allein kein
hinreichendes Kriterium für eine kritische, politische Position sein. Deshalb
setzen wir dieser Reduzierung eine solidarische Parteilichkeit entgegen.

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Zur besseren Nachvollziehbarkeit haben wir unsere alten Statements auf dieser
Seite zum nachlesen aufbewahrt. Diese spiegeln zum Teil nicht mehr unseren
heutigen Standpunkt wieder. Das aktuelle Statement findet ihr ganz oben.


WARUM WIR UNS ALS INTERVENTIONISTISCHE LINKE FÜR EIN OUTING ENTSCHIEDEN HABEN

27.07.2022

Vor zwei Wochen haben wir mit einem Outing die sexualisierte Gewalt eines
ehemaligen Genossen öffentlich gemacht. An dieser Stelle legen wir dar, warum
das für uns eine politische Notwendigkeit war. Im konkreten Fall ging es uns
darum, Betroffene zu informieren, die möglicherweise ohne ihr Wissen von der
sexualisierten Gewalt betroffen sind und weitere, zukünftige Betroffene zu
schützen.

Vorweg: Die Entscheidung für das Outing erfolgte, nachdem andere Wege durch das
Verhalten des Täters verunmöglicht wurden. Der Umgang mit den Taten und die
Entscheidung für das Outing sind Ergebnis eines kollektiven Prozesses der
Aushandlung und Verantwortungsübernahme.

Die von uns öffentlich gemachten Taten sind ein patriarchaler Akt und Ausdruck
männlicher Machtfantasien. Diese zu überwinden muss für uns als radikale Linke
selbstverständlich und politisches Prinzip sein, da sie mit unseren
Vorstellungen von einem menschlichen Zusammenleben grundsätzlich unvereinbar
sind. Wir verwahren uns gegen die Ansicht, dass sexualisierte Gewalt Privatsache
sei und stellen uns gegen ihre Entpolitisierung.

Geschlechterverhältnisse und patriarchale Herrschaft sind Kernelemente der
bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, nicht ihr nachgelagertes Problem.
Geht die radikale Linke nicht konsequent gegen sexistische Übergriffe vor,
verrät sie ihre eigenen Ideale.


VERANTWORTUNG, NICHT STRAFE

Das Ziel ist nicht, Täter zu bestrafen. Erst recht nicht stellvertretend für das
gesamte Patriarchat oder zur Einschüchterung anderer Täter. Uns ist klar, dass
Sexismus nicht nur bei einzelnen Personen liegt, die es auszuschließen gilt. Das
Patriarchat durchzieht die Gesellschaft und auch unsere Organisation. Um einen
Umgang damit zu finden, haben wir einen Leitfaden erarbeitet, an dem wir uns in
Fällen von sexualisierter Gewalt und Grenzüberschreitungen orientieren. Dieser
Leitfaden zielt auf nicht strafende, transformative Umgänge mit sexualisierter
Gewalt ab. Er hat das Ziel, Betroffene handlungsfähig zu machen und kollektiv
daran zu arbeiten, zukünftige Gewalt zu verhindern. Er nimmt die Täter in die
Verantwortung, sich an der Aufarbeitung ihrer Taten und wiederherstellenden
Maßnahmen zu beteiligen; er bietet zudem Raum für den kollektiven Umgang mit
sexualisierter Gewalt und der Möglichkeit, als Gruppe Verantwortung zu
übernehmen.

Wir wollen klarstellen: Der Täter hatte die Möglichkeit, sich mit seinen Taten
auseinanderzusetzen, seine Taten aufzuarbeiten und eine Veränderung einzuleiten.
Er wurde länger im Rahmen lokaler Strukturen angehört und hat ein Statement
verfasst, das überregionalen Strukturen vorliegt. Ausschlüsse und Outings sind
für uns das letzte Mittel. Diese können nötig werden, wenn eine
Verantwortungsübernahme durch den Täter und die Gruppe scheitert. Wenn Täter
nach der eigentlichen Tat weiterhin versuchen, den Betroffenen zu schaden, sie
pathologisieren, sie aus den Strukturen drängen wollen, ihr Umfeld gegen sie
aufbringen und ihre oft krude Täter-Opfer-Umkehr dafür offensiv verbreiten und
Gehör finden; wenn sie sich der Kooperation in der Aufklärung der Taten, ihrer
Verantwortung darin und wiederherstellenden Prozessen verweigern; wenn Täter
vorsätzlich gehandelt haben und es abzusehen ist, dass es weitere Betroffene
gibt und geben wird. Viele dieser Vorgehensweisen finden wir im vorliegenden
Fall wieder.


PARTEILICHKEIT IST KEINE WILLKÜR

Zudem gründet sich unsere Entscheidung zum Outing auf unserer antisexistischen
Haltung und dem Prinzip der solidarischen Parteilichkeit mit Betroffenen von
sexualisierter Gewalt. Wir zweifeln die Glaubwürdigkeit der Betroffenen nicht
an. Es liegen u.a. Fotos vor, die vertrauenswürdige Personen gesehen haben und
die eindeutig einem Treffen mit dem Täter zugerechnet werden. Es ist auch
unbestritten, dass diese Fotos ohne Wissen und Willen der Betroffenen gemacht
wurden. Sie können nur von dem Täter gemacht worden sein. Diejenigen, die dies
in Zweifel ziehen und Beweise verlangen, wollen uns dazu zwingen, „zum Beweis“
diese intimen Fotos vorzulegen. Damit würden die Verletzung der
Persönlichkeitsrechte vervielfacht und die Selbstbestimmung der Betroffenen
genommen. Es ist für uns untragbar, unter dem Vorwand der „Beweisführung“ die
öffentliche Vorlage an alle, die Zweifel melden, also eigentlich eine
Veröffentlichung von solchen Fotos zu verlangen. Dieses durchsichtige Spiel
werden wir nicht mitmachen.

Uns ist es wichtig, Betroffene dabei zu unterstützen, handlungsfähig zu werden.
Die bürgerliche Justiz bietet für sie oftmals keine Hilfe, sondern lediglich
demütigende und inquisitorische Gerichtsverfahren. Es ist uns wichtig
festzuhalten, dass nicht der Umgang mit den Vorfällen Ursprung des Problems ist,
sondern die Tat, der Täter und die Gesellschaft, die sie ermöglicht. Wo eine
Kultur der Einschüchterung von (potentiell) Betroffenen herrscht, betrachten wir
es als unsere Pflicht, offensiv für sie Partei zu ergreifen.

Unser Leitfaden sieht aus den genannten politischen Gründen vor, dass der Täter
zwar Stellung beziehen kann, der Prozess jedoch nicht von ihm bestimmt oder
vereinnahmt werden darf. Es geht uns nicht um ein vollständiges
Schuldeingeständnis als Voraussetzung, sondern um ein ernsthaftes Bemühen zur
Klärung der Situation inklusive Anerkennung der Betroffenenperspektive. Der
Täter begann in diesem Fall sehr früh, seine „Verteidigung“ mit Drohungen gegen
die Betroffene und Ausgrenzungsforderungen zu verbinden. So zeigte sich in
diesem Fall keine Basis für transformative Täterarbeit. Allerdings entlässt uns
das Verhalten des Täters nicht aus unserer kollektiven Verantwortung. Unser
Umgang mit sexualisierter Gewalt endet nicht mit Ausschlüssen und Outings.


KEIN EINZELFALL, GEGEN DAS PATRIARCHALE KLIMA

Wir wehren uns gemeinsam dagegen, dass antifeministisches und misogynes
Verhalten durch die Gesamtgesellschaft toleriert wird. Dazu gehört es, das laute
Schweigen bei sexualisierter Gewalt zu brechen und den Umgang damit zu
kollektivieren. Da Täter auf die Scham und die Diskreditierung von Betroffenen
bauen, setzen wir alles daran, den Betroffenen Raum zu geben. Nur so können wir
gemeinsam der Ohnmacht entkommen.

Damit positionieren wir uns gegen die gesellschaftlichen Kräfte und Strukturen,
die das Handeln der Täter ermöglichen. Wir streiten für eine Welt, in der wir
Intimität teilen und Sex haben können, ohne dass diese von patriarchaler Gewalt
durchzogen sind. Für ein Leben, in dem wir mit Empathie Beziehungen führen und
kollektiv mit unseren Fehlern umgehen. Für eine Gesellschaft, in der wir alle
ohne Angst verschieden sein können und die Freiheit für alle erkämpfen. Für ein
Ende der Gewalt. Um diesen utopischen Horizont zu erreichen, braucht es
kollektive emanzipatorische und antisexistische Arbeit. Diese konsequent auch in
den eigenen Reihen einzufordern, schafft erst die nötige Glaubwürdigkeit für
unsere Auseinandersetzungen. Nur so können wir allen Betroffenen glaubhaft
vermitteln, was wir diese im Kampf um eine befreite Gesellschaft hinter uns
lassen wollen.

Unsere Strukturen sind keine utopischen Räume ohne sexistisches Verhalten und
sexualisierte Gewalt. Doch wir haben den Anspruch, diesem Zustand näher zu
kommen und bei sexualisierter Gewalt in unseren Strukturen ein klares Signal zu
senden: Täter und das Umfeld, das ihre Taten ermöglicht, dürfen nicht geduldet
werden. Wir wollen mit unseren Strukturen Schutz und Solidarität bieten. Die
antifeministischen Angriffe, die auf das Outing folgten, bestärken uns nur in
unserer Haltung.